Beim Vergleich gleichaltriger Kinder können sehr oft große Unterschiede der Reifung und Entwicklung von Haltung und Bewegung festgestellt werden. Diese Prozesse sind einerseits genetisch individuell unterschiedlich festgelegt und werden andererseits durch individuell unterschiedliche Förderung beeinflusst. Das Spektrum normaler Entwicklung ist äußerst breit. Die Zeiträume für das Erreichen der Meilensteine der körperlichen, geistigen und psychischen Entwicklung erstrecken sich über mehrere Monate. Die Wege zum Erreichen motorischer Meilensteine sind mitunter sehr unterschiedlich. Viele Kinder erreichen das Gehen über das Krabbeln und den Kniegang, nicht wenige über das Sitzrutschen.
Eine Entwicklungsverzögerung könnte vorliegen, wenn Kinder eine zu niedrige Muskelspannung aufweisen um ihren Kopf oder Körper ausreichend stützen zu können, wenn Hände/Arme oder Beine einseitig deutlich weniger benutzt, eventuell in Schonhaltung eingeschränkt bewegt werden oder bestimmte Bewegungen auf einer Körperseite nicht möglich sind.
Werden motorische Meilensteine, wie das Sitzen mit etwa 10 Monaten, Krabbeln mit etwa 12 Monaten und freies Gehen mit 18 Monaten nicht erreicht, ist eine neuropädiatrisch-orthopädische Untersuchung notwendig. Bei der entwicklungsdiagnostischen Untersuchung werden sensorische und motorische Bewegungsstörungen, wie eine Seh-, Hör-, Gleichgewichtsstörung, periphere Lähmung, eine Cerebralparese (Entwicklungsstörung des Gehirns, die mit Lähmungen und Wahrnehmungsbeeinträchtigung einhergehen kann) oder Muskelerkrankung ausgeschlossen.
Auch beim älteren Kind gibt es Gesetzmäßigkeiten beim Wachstum und der Reifung des Bewegungsapparates. Bei allen Auffälligkeiten wird Ihre Kinderorthopädin bzw. Ihr Kinderorthopäde im Rahmen einer eingehenden Untersuchung statische und motorisch-sensorische Ursachen unterscheiden. Häufig auftretende Verzögerungen der Beinachsen-Entwicklung, Fußstellung und Wirbelsäulenentwicklung, biomechanisch bedingte Kompensationsbewegungen oder projizierte Schmerzen machen sehr oft eine grundlegende Analyse des gesamten Bewegungsapparates notwendig, um deren Ursachen zu ergründen und Behandlungsansätze zu finden.
Bei etwa 5% aller Kinder können Auffälligkeiten der Bewegung als Reifungsverzögerung der Feinmotorik, Koordination oder Wahrnehmungsfunktionen festgestellt werden. Kinder mit einer sogenannten minimalen cerebralen Dysfunktion sollten im Grundschulalter erkannt, aber nicht in jedem Fall behandelt werden. Eine Förderung ihrer Defizite ist im pädagogischen oder sportmotorischen Bereich möglich.
Bei einem Fortschreiten von Auffälligkeiten der Bewegung und Haltung ist eine medizinische Untersuchung unbedingt notwendig. Frühformen seltener neuromuskulärer Erkrankungen müssen ausgeschlossen werden, beispielsweise bei Vorliegen einer Muskelschwäche z.B. Probleme beim Treppensteigen und Stolperneigung z.B. bei Müdigkeit oder Dunkelheit.
Ziel jeder Behandlung ist immer die langfristig schmerzfreie Mobilität bis ins hohe Erwachsenenalter. Die optimale, sanfte und effektive Behandlung durch spezielle Therapien, kindgerechte Schuhe, Einlagen und Orthesen und manchmal auch Operationen nützt den richtigen Zeitpunkt, Zeiträume und biologische Kräfte des Wachstums und der Reifung aus, um dieses Ziel mit dem geringstmöglichen Einsatz zu erreichen.
Alle Kinder klagen irgendwann im Laufe Ihres Wachstums über Beinschmerzen. Allzu schnell wird dann die Diagnose „Wachstumsschmerzen“ gestellt. Sehr häufige Ursachen sind Überbeanspruchungen und Gelenkreizungen nach Virusinfektionen. Aber auch einige wichtige Erkrankungen müssen bei jedem Kind ausgeschlossen werden.
Bei der fast alle Kinder zwischen 3 und 8 Jahren zumindest einmal betreffenden Coxitis fugax („Hüftschnupfen“) handelt es sich um eine meist harmlose vorübergehende entzündliche Reizung des Hüftgelenkes. Die Kinder klagen über Leisten- oder Knieschmerzen und übernehmen ungern Gewicht. Die Hüftbeweglichkeit ist eingeschränkt, insbesondere der Einwärtsdrehung, es besteht kein Fieber und keine Zeichen eines schwereren Allgemeininfektes, das Kind fühlt sich wohl, es isst und spielt im Sitzen oder Liegen.
Die Ursache ist nicht vollständig geklärt, sie wird jedoch häufig in Zusammenhang mit Allgemeininfektionen, besonders viralen Infektionen der oberen Luftwege gebracht. Eine Heilung tritt meist ohne Behandlung innerhalb weniger Tage ein. Empfohlen wird die Schonung für etwa 5 bis 7 Tage, entzündungshemmende Medikamente und eine Ultraschallkontrolle, um den Rückgang des Ergusses zu kontrollieren.
Bei hochgradigem Erguss und starken Schmerzen mit vollständiger Gehunfähigkeit in Verbindung mit Fieber und Krankheitsgefühl muss unbedingt eine bakterielle, eitrige Infektion des Hüftgelenkes ausgeschlossen werden. Sofort wird eine Laboruntersuchung und MR-Tomografie vorgenommen werden um die Folgeschäden für das Gelenk so gering wie möglich zu halten. Die septische Arthritis (eitrige Gelenkentzündung) stellt in jedem Lebensalter einen orthopädischen Notfall dar.
Schmerzhinken oder fehlende Gewichtsübernahme im Kleinkindalter ist gelegentlich Folge eines harmlosen Morbus Köhler I des Kahnbeins des Fußes, der meist im Alter zwischen 3 und 8 Jahren auftritt und gut auf einige Tage Schonung anspricht. Selten ist eine Einlagen- oder Gipsbehandlung notwendig.
Beim Morbus Perthes handelt es sich um eine Erkrankung des Hüftgelenks, meist zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr, die innerhalb von etwa 2 bis 4 Jahren selbstheilend abläuft, jedoch eine schwere anhaltende Schädigung des Gelenks verursachen kann.
Fußschmerzen im Kindesalter sind gelegentlich Folge von wachstumsbedingten Erkrankungen der Fußwurzelknochen. So kommt es z.B. bei barfuss laufenden 6-12jährigen Kindern sehr häufig zu einer vorübergehenden Reizung der Wachstumsfuge im Bereich des Fersenbeins (Apophysitis calcanei). Aber auch an eine Verwachsung einzelner Fußwurzelknochen (Coalitio) muss gedacht werden.
Im Pubertätswachstumsschub muss an Erkrankungen der Wachstumsfugen gedacht werden, besonders an die Hüftkopf-Wachstumsfugenlösung und den häufigen Morbus Schlatter der Schienbein-Wachstumsfuge, der einer Schonung und Therapie bedarf.
Schmerzen des Bewegungsapparates im Kindesalter, besonders wenn sie kurzdauernd, einseitig, lokalisiert auftreten und mit Funktionsstörungen oder veränderten Laborbefunden einhergehen, bedürfen immer einer exakten medizinischen Abklärung. Chronische Entzündungen (z.B. Osteomyelitis), Bluterkrankungen (z.B. Leukämie), Tumoren (z. B. Ewing-Sarkom) werden von Ihrer Ärztin bzw. Ihrem Arzt ausgeschlossen.