Sana Blaubuch

München—also keine Zeitverschiebung—, ein kleiner Segen in unserer globalisierten Welt. Und so kann es losgehen. Hebammen wissen oft mehr Hallo, Großvater, das ist schön, dass du anrufst. Meine allerherzlichsten Glückwünsche zum Ge- burtstag. Schade, dass du noch in Berlin bleiben musst, aber wir feiern hier groß nach!  Johanne, wie freue ich mich, dich zu sehen und zu hören. Gut siehst du aus. Und wie geht’s dem neuen Erdenbürger?  Paulinus ist ein fröhliches Bürschchen. Obwohl wir ja bei der Geburt ein paar bange Minuten überstehen mussten. Gott sei Dank hat sich die Hebamme durchgesetzt. Der Arzt wollte ja schon den guten alten Kaiserschnitt ansetzen, aber die Hebamme meinte, das Baby würde sich noch drehen. So kam es dann auch. Ja, ein Glück, dass Hebammen heute viel mehr Mitspracherecht als früher haben. Ihr Erfahrungs- wissen ist genauso viel wert wie das medizinische Apparatewissen. Heute gibt es zwar das Wissen von 1.000 Arztjahren per Download, aber die ei- gene Erfahrung ist dann doch etwas, was einen wirklichen Experten ausmacht. Und da sind die Hebammen, die mehr Geburten begleitet haben als so mancher Arzt, ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich nur zu gut: Wie oft wurde ich als Kinderin- tensivarzt zu einem Notfall-Kaiserschnitt in den Kreißsaal gerufen. Wir konnten bereits am Schritt der Hebamme erkennen, in welcher Gefahr das Baby war. Wenn sie rannte und das Baby, das in ein OP-Tuch gewickelt war, nicht schrie, war Ge- fahr im Verzug. Wenn man aber in dem OP-Tuch das Kind gar nicht richtig sehen konnte, weil es so winzig war, dann wussten alle, dass die Lage extrem ernst war. Aufgeatmet haben wir, wenn die Hebamme normalen Schrittes unterwegs war und das Baby ein kräftiges Schreien hören ließ—dann waren wir Kinderärzte eigentlich überflüssig. Du, Großvater, wie war das eigentlich früher? Wenn man heute die Frühchenmedizin anschaut, können die schon 200 Gramm schwere Mensch- lein in den neuen Inkubatoren aufpäppeln. Na ja, hier hat sich der medizinische Fortschritt ex- trem weiterentwickelt. So um die Jahrhundertwende galt die Faustregel: ab der 26. Schwangerschafts- woche. Heute ist es ab der 20. Woche. Apropos medizinischer Fortschritt. Wenn wir uns das mal allgemein anschauen: Das große Umdenken in der Medizin begann eigentlich Ende der 2010er-Jahre. Damals war klar, dass infolge ungesunder Lebens- führung Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes mit den schlimmsten Folgeerkrankungen, Demenz, Herzinfarkte und Schlaganfälle, altersassoziierte Krebsarten und gefährliche Infektionen zu stark überhandnahmen. Es musste etwas passieren. Der Staat nahm die Dinge in die Hand?  Ja, er reagierte in zwei Richtungen. Zum einen wurde die Erforschung altersassoziierter Krank- heiten mit großen Summen gefördert. Die Exzellenz- cluster der Universitäten wurden verpflichtet, sich «Das große Umdenken in der Medizin begann eigentlich Ende der 2010er-Jahre. Damals war klar, dass infolge ungesunder Lebensführung einige Krankheiten zu stark überhandnahmen. Es musste etwas passieren. » 10 E S S AY M a r k u s M ü s c h e n i c h 2 0 5 1

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