Sana Blaubuch
2 0 5 1 M a r k u s M ü s c h e n i c h E S S AY 09 Dr. Markus Müschenich ist seit 2009 Medizi- nischer Vorstand der Sana Kliniken AG. Der 50-jährige Kinder arzt und Gesundheits wissenschaftler ist Mitbegründer von «ConceptHospital», das sich mit Szenarien der Krankenhäuser von morgen beschäftigt. der noch bei guter Gesundheit zu verbringenden Lebensjahre korreliert. Lange Telomere im mittle- ren Lebensalter bedeuteten ein von Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen weitgehend freies Leben. Nun—so stellte sich bei weiteren Forschungen heraus— ist die Verkürzung der Telomere keineswegs nur schicksalshaft und arithmetisch auf die gelebten Jahre gleich verteilt. Als erste Ursache für eine Verkürzung der Telomere wurde chronischer Stress identifiziert. Stress, wie er an den Arbeitsplätzen der Republik und damit auch projiziert auf die Familien zu Hause von Jahr zu Jahr zugenommen hatte. Diese Entdeckung war damals eine Sensation, hatte man doch ei- nen ersten Schlüssel zur Lebensverlängerung bei gleichzeitig guter Gesundheit gefunden. Und mit eben dieser Information ausgestattet ging es in den Wahlkampf. Nach dem wenig überraschenden Wahlsieg wurde das Wahlversprechen tatsächlich eingelöst. Es kam zur Einführung von Wunschar- beitszeitmodellen. Praktiziert habe ich meinen Beruf bis 81. Und wie es der Zufall will, hat meine Enkelin Johan- ne, selber Kinderärztin, vor 14 Tagen einen Sohn geboren. Paulinus heißt er. Wir sind per iView verabredet. Dazu schalte ich mein Neo-Handy ein und aktiviere die iView-Funktion meiner Brille. Statt ein Display oder einen Bildschirm vor sich zu haben, schaut man heute einfach durch seine Brille und sieht seinen Gesprächspartner scharf und angenehm großformatig. Johanne wohnt in 9. Juni 2051. Ein warmer Freitagnachmittag in Berlin. Mein Name ist Markus Müschenich. Ich bin Kinderarzt und habe viele Jahre als Zukunfts- forscher und Topmanager im Gesundheitswesen gearbeitet. Heute feiere ich meinen 90. Geburtstag. Ich gehöre jetzt offiziell zu den Hochbetagten. Mit mir sind das über zwei Millionen in diesem Land. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 gab es gerade einmal 400.000 Menschen in der Generation 90 plus. Wir sind jetzt viele. Im Gegensatz zu früher ist der Freitag nicht mehr der letzte Tag vor dem Wochenende. Trotz der Proteste von Gewerkschaften und Kirchen hat man ab 2025 die feste Einteilung von Wochenarbeits- tagen und Wochenende abgeschafft. Stichwort: Work-Life-Balance. Begonnen hatten damit Firmen, die schon früh das Thema Familienfreundlichkeit auf ihre Fahnen schrieben und für die Mitarbeiter Möglichkeiten schufen, die Arbeitszeiten mit ihrem Familienleben zu harmonisieren. Berücksichtigt wurde dabei nicht nur die Versorgung der Kinder, sondern—die Demografie ließ bereits grüßen—auch die zunehmende Pflege von Angehörigen. 2025 zog eine der großen Volksparteien dann in den Bundestagswahlkampf mit der Aussicht auf ein Familienarbeitsgesetz. Was auf den ersten Blick schien wie reine Wahl- kampftaktik, hatte tatsächlich einen gesundheitswis- senschaftlichen Hintergrund. Die Wissenschaft hatte sich längst auf den Weg gemacht, die Mechanismen des Alterns zu erforschen. Dabei war man auf die sogenannten Telomere gestoßen. Diese bestehen aus Proteinen und DNA, sitzen wie Kappen auf den Enden unserer Chromosomen und schützen so das Erbgut jeder einzelnen Zelle vor der Zerstörung durch äußere Einflüsse. Mit demAlter werden diese Telomere immer kürzer. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Telomere verkürzen, ist von Person zu Person unterschiedlich. Forscher fanden he- raus, dass die Länge der Telomere mit der Anzahl «Mit mir gibt es über zwei Millionen Hochbetagte in diesem Land. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 gab es gerade einmal 400.000 Menschen in der Generation 90 plus. Wir sind jetzt viele. »
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