Sana Blaubuch
«Fridolin» gehört zum festen Inventar des Ulmer Querschnittgelähmten- zentrums. Die Schaufensterpuppe steht im Aufenthaltsbereich und steckt in einer Art Raumanzug, der mit zwei Kompressoren aufgepumpt wird. Die NASA hatte das Therapiegerät in den 1970er-Jahren als Gehhilfe für Querschnittgelähmte entwickelt, in der Praxis hat es sich aber nicht bewährt. Durchgesetzt hingegen hat sich der damals noch junge Behandlungsan- satz, akut Querschnittgelähmte möglichst schnell in ein Spezialzentrum für Rückenmarkverletzte zu bringen. 26 solcher Zentren gibt es mittlerweile in Deutschland, und das RKU ist eine der wenigen Kliniken, die höchstge- lähmte Patienten jedenAlters versorgen kann—auch solche, die dauerhaft beatmet werden müssen oder komplexe zusätzliche Erkrankungen haben. «Durch die enge Einbindung in die Universitäts- und Rehabilitationsklinik ist jedweder medizinische Fachbereich bei der Behandlung sofort verfüg- bar—von der Wirbelsäulenchirurgie über die Urologie, Neurologie oder Kardiologie bis hin zur Psychiatrie oder zur technischen Orthopädie», sagt Dr. med. Yorck-Bernhard Kalke, Sektionsleiter des Querschnittgelähmten- zentrums am RKU. Die Querschnittlähmung ist eine der folgenschwersten Erkrankungen, die ein Mensch erleiden kann. Die Verletzung des Rückenmarks führt nicht nur zur Lähmung der Gliedmaßen, sondern stört oft auch die Funktionen vieler anderer Organsysteme. Bei den meisten Patienten kommt es zu Darm- und Blasenlähmungen, oft treten Herzrhythmus- oder Kreislaufstörungen auf, ebenso eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, Thrombosen, Infarkte und Druckgeschwüre. Bei unfallbedingten Querschnittlähmungen müssen in mehr als der Hälfte aller Fälle schwere Begleitverletzungen, etwa des Schädels, des Brustkorbs, des Beckens oder des Bauchraums, versorgt werden. Breite ärztliche Expertise ist auch bei krankheitsbedingten Quer- schnittlähmungen nötig, die bei Patienten mit Tumoren, Bandscheibenvorfäl- len, Multipler Sklerose oder Wirbelsäuleninfektionen auftreten können. «Das Krankheitsbild der Querschnittlähmung ist so komplex wie kaum ein an- deres—eine immense medizinische Herausforderung, die nur mit speziell geschulten Behandlungsteams und bester medizinischer Infrastruktur ge- meistert werden kann», so Kalke. Hinzu kommt, dass Querschnittgelähmte die vielfachen Folgekomplikationen aufgrund ihrer gestörten Gefühlsemp- findung oft gar nicht wahrnehmen. Für dieAkuttherapie verfügt das Querschnittgelähmtenzentrumdes RKU über 35 stationäre Behandlungsplätze. Sie dauert zwischen zwei und sechs Monaten und umfasst neben der Versorgung von Neuverletzten ein für jeden Patienten maßgeschneidertes medizinisches und soziales Rehabilitations- konzept. Querschnittgelähmte werden oft von einem Moment zum anderen mit dem Zusammenbruch aller Lebenspfeiler konfrontiert. Nicht nur die H e i k o R e i c h e l / F r i e d e r i k e L at t i g / Y o r c k - B e r n h a r d K a l k e A u f s t r e b e n 35 Q u e r s c h n i t t l ä h m u n g Das Leben geht weiter In Ulm werden Patienten mit Rückenmarkverletzungen körperlich und seelisch auf ein Leben vorbereitet, das sie wieder weitgehend selbständig meistern können. «Die Querschnitt- lähmung ist so komplex wie kaum ein anderes Krankheitsbild. » Dr. med. Yorck-Bernhard Kalke Sektionsleiter Querschnittgelähmtenzentrum, Orthopädische Universitätsklinik RKU - Universitäts- und Rehabilitations- kliniken Ulm Exoskelett statt Rollstuhl Eine Art Geh-Anzug für Querschnittge- lähmte könnte den Rollstuhl künftig ablösen. Das Gerät besteht aus verschie- denen Bändern und einem Metallskelett, die außen am Körper angebracht werden. Damit die Patienten gehen können, ist das Gerät mit vier Elektromotoren ausgerüstet, die jeweils an Ober- und Unterschenkeln sitzen. 15 Sensoren erfassen, in welche Richtung sich der Patient bewegen will. Zwei Krücken, in denen ebenfalls Sensoren stecken, dienen zusätzlich der Stabilität. Ein Compu- ter bildet das Rücken- teil des Gerätes und steuert die Elektromo- toren entsprechend den Sensoreninforma- tionen. fig.: Derzeit wird das Lauftraining mit Roboteranzügen in Rehaeinrichtungen getestet.
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