Sana Blaubuch

08 b l a u b u c h O r t h o p ä d i e - g e s c h i c h t e pädischer Werkstatt. Es wurde zum Vorbild für weitere Krankhäuser in ganz Europa. Doch die Behandlung der jungen Patienten mittels Stützapparaten und Korsetts war langwierig und teuer, deshalb blieb sie ein Privileg der Wohlhabenden. Die breite Masse profitierte vorerst nicht von den Errun- genschaften der Orthopädie. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts litten 36 von 1.000 Kindern unter schweren Muskel- und Skeletterkrankungen. Erst 1920 ermöglichte das preußische «Krüppelfürsorgegesetz» ihre kostenlose Behandlung. Dahinter steckte nicht nur Menschenliebe, sondern auch öko- nomisches Kalkül: Die guten Heilerfolge brachten Einsparungen in der Armenfürsorge und verbesserten die Erwerbsfähigkeit der Bevölkerung. Lebenslange Orthopädie Dank rechtzeitiger Diagnose, wirksamer Prophylaxe und erfolgreichen The- rapien leiden Kinder und Jugendliche heute nur noch selten unter schweren Körperfehlbildungen. Der mit Abstand häufigste Grund für ihre orthopädi- sche Behandlung sind Knochenbrüche. Auch wenn die Kinderorthopädie besonders hinsichtlich ihrer präventiven Bedeutung ein wichtiges Arbeits- feld geblieben ist, so hat sich doch der Schwerpunkt der Orthopädie auf ältere Patienten verlagert. Etwa die Hälfte aller 50- bis 70-Jährigen leidet an Arthrose, jede zweite Frau und jeder dritte Mann dieser Altersgruppe ist von Osteoporose betroffen—und dem damit verbundenen Risiko, sich bei Stürzen schwere Knochenbrüche zuzuziehen. Degenerative Muskel- und Skeletterkrankungen nehmen angesichts unserer alternden Gesellschaft beständig zu und damit auch die Zahl der Gelenkersatzoperationen. Der rasanteAnstieg der Hüft- und Kniegelenkimplan- tationen wird in der Öffentlichkeit oft als Geschäf- temacherei kritisiert, doch letztlich gewährleisten solche Eingriffe, dass ältere Menschen die Chance bekommen, beweglicher und damit auch gesün- der zu bleiben. Das erste künstliche Kniegelenk wurde übrigens schon 1890 implantiert. Der Berliner Chirurg The- mistokles Gluck hatte eine Prothese aus Elfenbein und Nickelstahl entwickelt, die den heutigen Im- plantaten recht ähnlich war, sich aber vorerst nicht bewährte. Dennoch erlebte die Orthopädie zur damaligen Zeit ihren ersten wirklich großen Durch- bruch. Die Erfindung der Äthernarkose, die Be- gründung der Antisepsis und die Entdeckung der Röntgenstrahlen eröffneten völlig neue therapeu- tische und diagnostische Perspektiven. Durch die nun weniger riskanten chirurgischen Eingriffe konnten Missbildungen erfolgreich operiert und Knochenbrüche so unblutig wie exakt diagnosti- ziert werden. Große Fortschritte machte auch die Versorgung von Unfallopfern, nicht zuletzt durch die seit 1884 etablierte gesetzliche Unfallversi- cherung im Rahmen der bismarckschen Sozial- gesetzgebung. Damit reagierte der Staat aber nicht auf Verkehrsunfälle, sondern vielmehr auf die zahllosen Arbeitsunfälle in den rapide wach- senden Industriebetrieben. Ebenfalls amPuls der Zeit arbeitete damals der schwedischeArzt Gustav Zander. Er erfand die ersten Trainingsgeräte, mit denen geschwächte Patienten schneller wieder «1890: Das erste künstliche Knie­gelenk implantierte der Berliner Chirurg Themistokles Gluck. Die Prothese aus Elfenbein und Nickelstahl setzte sich allerdings nicht durch. »

RkJQdWJsaXNoZXIy MTU2Njg=