Sana Blaubuch

14 K O N T R O L L I E R E N WE LT D E R K E I M E Dieter K. ahnte nicht, welchen tückischen Mikro- organismus er in sich trug. Der Rentner hatte im Griechenland-Urlaub einen Schlaganfall erlitten und war in einer Klinik vor Ort eine Woche lang behandelt worden. Zurück in Deutschland suchte er wegen anhaltender Beschwerden die Notauf- nahme des Sana Hanse-Klinikums in Wismar auf. Als der behandelnde Arzt von der Vorgeschichte des Patienten hörte, war er sofort alarmiert. In griechischen Krankenhäusern sind multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien, kurz MRGN, weitverbreitet. Deshalb wurde Dieter K. als poten- zieller Träger solcher Keime umgehend in einem Einzelzimmer isoliert. Haut- und Rektalabstriche des Patienten gingen ins Labor. «Hier inWismar ist dasAuftreten dieses Keims noch äußerst selten. Aber weltweit hat sein Nach- weis massiv zugenommen», so Andreas Meyer, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Inten- sivmedizin in Wismar. «Deshalb haben alle Sana Kliniken einen Anamnesebogen eingeführt, mit dem Risikopatienten schon bei der Aufnahme verlässlich identifiziert werden können. Außerdem gibt es für solche Fälle festgeschriebene Anwei- sungen zur Infektionskontrolle. » Eine Besiedelung mit MRGN-Bakterien kann jeden treffen, besonders häufig aber Menschen, die in Krankenhäusern im Ausland, etwa in Süd- und Südosteuropa oder im Nahen und Fernen Osten waren sowie in größeren Kliniken behandelt wurden oder aus Pflegeheimen kommen. Proble- matisch sind diese Keime vor allem, weil sie ge- genüber mehreren und manchmal sogar fast allenAntibiotikaklassen resistent sind. Infektionen können dann nur extrem schwer oder gar nicht mehr behandelt werden. Deshalb hat die Vermei- dung der Weiterverbreitung dieser Keimarten oberste Priorität. Superresistente Keime Bei Dieter K. war die Isolierung zu Recht angeordnet worden. Laut Laborbefund seiner Abstriche war er mit Darmbakterien besiedelt, die gegen vier Antibiotikaklassen resistent sind, sogenannte 4 MRGN. Zudem handelte es sich um Klebsiella- Bakterien, die sich wochenlang im Darm ihrer Träger verstecken können, ohne Symptome aus- zulösen. Verschärfte Hygienemaßnahmen sind in solchen Fällen in Wismar, wie in allen anderen Sana Kliniken, zwingend vorgeschrieben. Das gilt auch beimAuftreten von 3 MRGN, also Keimen, die gegen drei Antibiotikaklassen resistent sind. Untersuchungen sollen möglichst am Ende der Sprechstunde stattfinden, danach müssen alle Flächen, mit denen der Erregerträger Kontakt hatte, desinfiziert werden. Das Pflegepersonal und die behandelnden Ärzte müssen das Isolierzimmer immer in Schutz- kleidung betreten, die nach Gebrauch dort auch abgelegt und in speziellen Säcken entsorgt wird. Die Krankenakte darf nur außerhalb des Zimmers verwendet werden. Und an der Tür des Isolier- zimmers fordert ein Hinweisschild die Besucher auf, sich vor dem Betreten beim Personal zu melden, um in die Hygienevorschriften eingewie- sen zu werden. Auch dieAngehörigen dürfen das Isolationszimmer nur in Schutzkleidung betreten. Sie sollten sich nicht auf das Patientenbett setzen und sich vor dem Verlassen des Raumes die Hände gründlich desinfizieren. Angehörige und Patienten sind durch solche drakonisch klingenden Maßnahmen oft verunsichert, berichtet Meyer: «Deshalb klären wir alle Betroffenen unmittelbar mit Informationsbroschüren darüber auf, was MRGN-Bakterien sind, wie sie sich verbreiten und wie man sich davor schützen kann. » Strikte Keimkontrolle Für Gesunde sind diese Keime ungefährlich, und auch bei vielen Kranken verläuft die Besiedelung Wenn Antibiotika nicht mehr wirken können Die Geheimwaffe der Bakterien Selbst aggressive Anti- biotika töten nie alle Keime ab, sondern nur etwa 99 Prozent. Die überlebenden «Außenseiter» können sich wieder ausbreiten. Die Biomasse von Bakterien wächst rasant, sie kann sich schon innerhalb von 15 bis 20 Minuten verdoppeln. Dabei kommt es zu natürlichen Mutationen, also Veränderungen der Erbinformation, wie etwa die Fähigkeit, ein Antibiotikum abzuweh­ ren. Wird dieses Mittel dann eingesetzt, über- leben die mutierten Bakterien. Und weil die meisten nicht resistenten «Artgenossen» abgetö­ tet wurden, haben die re- sistenten Mutanten nun genug Platz, um sich weiter auszubreiten. Dabei übertragen sie ihre Resistenzgene auf ihre Nachkommen. Außerdem können viele Bakterien ihre Resistenz durch mobile DNA-Ab­ schnitte auch an «Freun- de und Bekannte», also andere Bakterienarten weitergeben, selbst wenn sie kaum miteinander verwandt sind. Resis- tente Bakterien produ- zieren Eiweiße, die als Enzyme genau die Bau- steine des Antibiotikums angreifen, die den Krank- heitserreger eigentlich bekämpfen sollen. Dr. Andreas Meyer Chefarzt Anästhesiologie und Intensivmedizin Sana Hanse- Klinikum Wismar

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