Sana Blaubuch

I MM U N S Y S T E M M I N I M I E R E N 25 Kleinkinder leben besser mit Keimen Abwehrkräfte aus dem Kuhstall «Dreck macht Speck», sagten schon unsere Großmütter. Heute ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Immunsystem von Kindern gestärkt wird, wenn sie in einer eher «schmutzigen» Umge­ bung aufwachsen. Der Grund: Das Immunsystem bildet sich in den ersten Lebensjahren aus und trainiert in dieser Zeit sehr intensiv den Umgang mit ein­ dringenden Mikroorga- nismen. Deshalb sollten Kleinkinder so früh wie möglich mit Keimen aus der Umwelt in Berüh- rung kommen —sei es beim Kuscheln mit Haustieren, beim Spielen mit Erde oder Sand, im Kontakt zu erkälteten Spielgefähr- ten oder bei Besuchen auf dem Bauernhof. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die sich schon frühzeitig und häufig im Kuhstall aufhalten, nur selten unter Allergien leiden. Forschern ist nun eine molekulare Erklärung für dieses Phänomen gelungen: Kuhstallstaub enthält Endotoxine, die über die Schleimhäute aufgenommen werden und im Körper ein Enzym aktivieren, das allergische Entzün- dungsreaktionen beeinflusst. Gut möglich, dass solche Erkenntnis- se eines Tages zu neuen Impfstoffen führen, etwa gegen Asthma. herausgefordert und beansprucht sein, um stark zu werden. Wir brauchen die Auseinanderset- zung mit den Keimen, damit unsereAbwehr nicht verkümmert. » Permanente Abwehrschlacht Ein weiterer Abwehrtrupp des Immunsystems be- steht aus löslichen Proteinen, die als Komplement- system bezeichnet werden. Sie unterstützen die Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems, indem sie Krankheitserreger markieren, weitere Immunzellen anlocken oder Bakterien oder Viren direkt vernichten. Auch für virusinfizierte Zellen und Krebszellen hat das Immunsystem ein spezi- alisiertes Einsatzkommando: Die NZ-Zellen oder natürliche Killerzellen fahnden im Körper nach genau diesen «Störenfrieden» und lösen sie mit Zellgiften auf. Von diesem Dauereinsatz der Keimpolizei im Körperinneren merkt man normalerweise nichts. Wenn das Immunsystem allerdings mit schweren Infekten zu kämpfen hat, wird dieAbwehrschlacht spürbar— in Form von Fieber, Schwäche, Schnup- fen, Husten oder Schwellungen. Auch das Im- munsystem von Patienten, die im Krankenhaus sind, ist durch die ursächliche Erkrankung oder Verletzung bereits in höchster Alarmbereitschaft. Wenn dann noch weitere Keime angreifen, fehlt zur Bekämpfung nicht selten die nötige Einsatz- kraft. «Ein Immunsystem, das einen Zwei- oder Drei-Fronten-Krieg führen muss, ist oft überfor- dert », so Petrasch. «Deshalb sollte man die kör- pereigene Abwehr auch bei alltäglichen Infekten nicht weiter belasten und dem Körper die Ruhe lassen, seine Selbstheilungskräfte zu entfalten. » Therapie mit Antikörpern Inzwischen ist das körpereigene Abwehrsystem weitgehend erforscht und wird zunehmend auch für Krankheitstherapien nutzbar gemacht. Gen- technologisch hergestellteAntikörper kommen bei der Behandlung etwa von Rheumaerkrankungen oder Störungen des Dünn- und Dickdarms zum Einsatz. Und auch bei der Bekämpfung von Krebs nutzen Forscher die Mechanismen des Immun- systems, um wirksame Medikamente zu entwi- ckeln. Sie zielen darauf ab, Tumore nicht direkt, sondern durch das Immunsystem der Patienten zu bekämpfen. Petrasch ist überzeugt, dass diese neuen Im- muntherapien Zukunft haben: «Auf diesemGebiet gibt es sensationelle Neuigkeiten. Bei Patienten mit Haut- oder Lungenkrebs hat die Therapie mit Antikörpern zu nie geglaubten Erfolgen geführt. Die aktuelle Immunologie hat hohes Potenzial für die Medizin von morgen. » inf.: Edward Jenner Der englische Landarzt ist ein Pionier der modernen Immunologie. 1796 infizierte er einen Waisenjungen mit Kuhpocken und nach dessen Genesung mit den menschlichen Pockenviren. Der Junge blieb von dieser lebensgefährlichen Krank- heit verschont. Damit begann das Zeitalter der Impfung oder Vakzination, abgeleitet vom lateinischen Wort für Kuh «vacca».

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