Sana Blaubuch

A N G S T V O R D E M K R A N K E N H A U S I N T E R V I E W 09 Niemand geht gerne ins Krankenhaus. Aber nüchtern betrachtet wird das Leid der Patienten doch genau dort fachkundig gemildert oder gar gestoppt. Wieso haben trotzdem so viele Menschen Angst davor, ins Krankenhaus zu müssen? Die Sache hat zwei Seiten. Der Verstand weiß, dass dort üblicherweise mit guter medizinischer und pflegerischer Hilfe gerechnet werden kann. Auf der emotionalen Ebene aber lauert hinter der Krankenhauspforte das Ungewisse: Unbe- kannte Räume und Menschen. Die Ungewissheit, was auf einen zukommt, was mit dem eigenen Körper passiert. Ob der Eingriff gelingt oder ob dabei schlimmere Befunde zutage kommen als erwartet. Dazu kommt der Kontrollverlust. Der Patient muss sein Leben förmlich in die Hände anderer legen, muss die Verfügungsgewalt über normale Schamgrenzen ein Stück weit abgeben, muss sich Abläufen und Prozeduren fügen, die er selbst kaum beeinflussen kann. Man fühlt sich ausgeliefert, wehrlos, ohnmächtig, was sich auch an dem Beispiel der Narkose bei Operationen zeigt. Auf diese geballten physischen und psychi- schen Bedrohungen ist Angst eine ganz normale, urmenschliche Schutzreaktion. Also müsste sich eigentlich jeder vor dem Krankenhausaufenthalt fürchten—auch jene, die das für sich selbst vehement bestreiten. Ich glaube schon, dass fast jeder Patient im Kran- kenhaus Angst hat. Ob er die auch nach außen trägt, steht auf einem anderen Blatt. Außerdem sind diese Ängste oft unbewusst und diffus. In Studien zu dem Thema habe ich festgestellt, dass nur etwa die Hälfte von ihnen ihre Ängste konkret ansprechen und benennen können, die Dunkelziffer ist also hoch. Dabei bringt es gar nichts, Ängste krampfhaft zu vermeiden oder zu verdrängen. Viel sinnvoller ist es, sich seiner Angst zu stellen und zu versuchen, sie zu bewältigen. Dazu aber muss sie vom Patienten zunächst anerkannt und ausgesprochen werden und dann, ganz wichtig, auch auf die offenen Ohren des Pflegepersonals und der Ärzte treffen. Kranke Menschen sind auf diese Unterstützung bei der Angstbewältigung besonders angewiesen. Aber lässt der eng getaktete Arbeitsalltag des Krankenhauspersonals überhaupt genug Raum für die emotionale Befindlich- keit der Patienten? Zeit ist in der Tat ein rares Gut im Krankenhaus- betrieb, und oft bleibt nicht genügend davon für die Anteilnahme an den Ängsten der Patienten übrig. Dabei gilt es aber zu bedenken, dass sich diese Ängste erwiesenermaßen negativ auf die I N T E R V I E W Keine Angst vor der Angst Die Angst des Patienten vor dem Krankenhaus kennt jeder. Wie man damit umgeht, was Ärzte und Pfleger tun können und wie man sie überwinden kann, wissen die wenigsten. Ein Gespräch mit der Hamburger Professorin Miriam Tariba Richter, die selbst schon mal Angst in der Klinik hatte und sie dann wissenschaftlich erforscht hat. Richter gilt auf ihrem Gebiet als eine der führenden Pflegewissenschaftlerinnen in Deutschland. Prof. Dr. phil. Miriam Tariba Richter Pflegewissenschaft HAW Hamburg info Mehr zum Thema Narkose auf Seite 29. «Es bringt gar nichts, Ängste krampfhaft zu vermeiden oder zu verdrängen. Viel sinnvoller ist es, sich seiner Angst zu stellen und zu versuchen, sie zu bewältigen. »

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