Sana Blaubuch

08 K O O P E R I E R E N R E I S E I N S H E R Z Das Herz ist ein faustgroßer Hohlmuskel. Pro Tag pumpt er 10.000 Liter Blut durch das Adernetz, fast vier Millionen Liter im Jahr. Im Brustkorb schlägt eine pausenlos laufende Hochleistungs- maschine, die schon in der frühen Embryonalent- wicklung quasi wie von Geisterhand ihren Betrieb aufnimmt. Noch keinem Ingenieur ist es gelungen, diese geniale Pumpenkonstruktion identisch nach- zubauen. Kein Wunder, dass die Menschheit das Herz seit jeher nicht als schlichten Muskelsack betrachtet, sondern als das geheimnisvollste und kostbarste Organ schlechthin. Das Herz war und ist in den meisten Kulturen das wichtigste Symbol. Alle Sprachen der Welt kennen zahllose Redensarten, die sich auf das Herz beziehen. Das Herz hüpft, stockt und bricht, wird schwer, blutet oder fliegt jemandem zu. Wir nehmen es in beide Hände, verlieren es oder erobern es im Sturm. Niemand käme auf die Idee, den Nieren, der Leber oder demGehirn ähnliche Symbolkraft einzuhauchen. Der besondere Stellenwert des Herzens spiegelt sich auch in dem Ritual der separaten Herzbe- stattung wider. Ob Richard Löwenherz, Napoleon oder Kaiserin Maria-Theresia, die Herzen von hohen Persönlichkeiten fanden ihre letzte Ruhe oft weit getrennt von ihren Körpern—beigesetzt in kostbaren Gefäßen an einem würdigen Platz. Dieser Herzkult hat den medizinischen Fort- schritt eher gebremst als vorangebracht. Jahr- tausendelang war das Herz für den ärztlichen Zugriff tabu, eine Art Schweigegelübde lag über diesemOrgan. Von der Antike bis zur Renaissance bestritten Gelehrte kategorisch, dass das mensch- liche Herz anfällig für Schädigungen sein könnte. «Es ist das einzige aller inneren Organe, das nicht von Krankheit betroffen werden kann», pos­ tuliert Plinius der Ältere im ersten Jahrhundert nach Christus. Selbst in der um 1760 erschienenen berühmten französischen Encyclopédie heißt es: « ImAllgemeinen kann man sagen, dass die Krank- heiten des Herzens ziemlich selten sind. » Todesursache Nummer eins Eine derartige Ignoranz ist in unserer modernen Gesellschaft nicht mehr vorstellbar. In kaummehr als einem Jahrhundert hat die Erforschung des Herzens und seiner Krankheiten ebenso rasante Fortschritte gemacht wie die Herzmedizin. Seit Jahren ist die Zahl der Krankenhausfälle infolge von Herzkrankheiten rückgängig, auch die Sterb- lichkeit von herzkranken Patienten ist seit 1970 um 25 Prozent gesunken. Dennoch gehören Herzprobleme in allen hoch entwickelten Gesellschaften zu den häufigsten Krankheiten. Und trotz der Erfolgsgeschichte der Herzmedizin sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen hierzulande mit 40 Prozent aller Sterbefälle immer noch die häufigste Todesursache. Nicht zuletzt ist das der Preis dafür, dass die Gesellschaft im- mer älter wird. Aber auch Übergewicht und Be- wegungsmangel in sehr jungen Jahren schaffen die Voraussetzung für spätere Herzkrankheiten. Das Herz ist eben nicht nur der wichtigste Muskel, sondern ein recht anfälliges Organ. R E I S E I N S H E R Z Der wichtigste Muskel Eine kleine Geschichte der Herzmedizin. fig.: Herzerkrankungen steigen mit dem Alter. Die Fortschritte in der Kardiologie sind jedoch bahnbrechend — von der Diagnose über die Operation bis zur Nachbehandlung.

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