Sana Blaubuch

10 I N T E R V I EW K R A N K E N H A U S H Y G I E N E Der Verbrauch von Antibiotika in der Humanmedizin ist steigend. Wir bauen uns damit eine bedrohliche Resistenzfalle, in die wir dann hineintappen. Gibt es Möglichkeiten der Minimierung oder des gezielteren Einsatzes? Das betrifft ja auch die niedergelassenen Ärzte. Prof. Geiss: Wir bilden zunächst unsere Ärzte in der Verwendung von Antibiotika fort und weiter. Wie die Hygiene sind auch Antibiotika und die Infektionsbehandlung im Medizinstudium ein Stiefkind. Man lernt wenig über ihren vernünftigen Einsatz. Dazu gehört auch das Wissen, dass am Beginn einer Infektionsbehandlung nicht dieAntibiotikagabe steht, sondern eine korrekte Diagnostik. Es werden viel zu oft Antibiotika zu früh gegeben, ohne es vorher mikrobiologisch abzuklären. Antibiotika sind jedoch nur in- diziert, wenn tatsächlich eine bakterielle Infektion vorliegt. Und wir müssen den Ärzten beibringen, dass weniger mehr ist. Wenn die Infektionszeichen vorbei sind, braucht man die Einnahme nicht länger fortzusetzen. Ein weit- verbreiteter Irrtum ist, dass wenn ich ein Antibiotikum nicht lange genug gebe, die Bakterien resistent werden. Das genaue Gegenteil ist richtig: Je länger man nämlich ein Antibiotikum nimmt, desto mehr steigt die Gefahr von Resistenzen. Das Motto lautet in Zukunft: Diagnostik, weniger geben, kürzer geben, Patienten aufklären, dass nicht unbedingt ein Antibiotikum notwendig ist, sondern es auch Heilkräfte der Natur gibt. Wir haben An- tibiotika seit gut 100 Jahren. Der Mensch lebt seit 300.000 Jahren. Wir haben den Großteil der Menschheitsgeschichte ohneAntibiotika überlebt. Und eines dürfen wir auch nicht vergessen: Mit jeder Antibiotikagabe schadet man zukünftigen Patienten. Denn resistente Bakterien sind dann nicht mehr zu bekämpfen. Das ist auch ein ethi- sches Dilemma. Man sollte deshalb ganz gezielt in jeder Klinik einenArzt zumAntibiotikaexperten ausbilden. Dr. Philippi: Bei den niedergelassenen Ärzten gibt es, was dieses Thema betrifft, nach meiner Wahrnehmung zu wenig Impulse einer Verände- rung. Zum Vergleich: In den Niederlanden hat man sich sehr früh mit dieser Thematik im ambulanten Bereich beschäftigt, mit großen Erfolgen. Das können Sie in einem staatlichen Gesundheitswe- sen auch machen, in dem der Arzt in der Regel angestellt ist. Das ist aber in Deutschland nur im Dialog zu realisieren. Prof. Geiss: Wenn wir die weltweite Verteilung der Resistenzen anschauen, müssen wir fest- stellen, dass es Länder, vor allem im Süden, gibt, deren Resistenzraten um ein Vielfaches höher als in Deutschland oder Skandinavien sind. Der Grund: Dort gibt es kulturell andere Einstellun- gen zu Gesundheit und Krankheit. In der Türkei oder in Griechenland beispielsweise werden viel längere Antibiotikagaben verschrieben und tat- sächlich auch eingenommen. Dort sindAntibiotika ohne ärztliches Rezept frei verkäuflich. Weltweit am höchsten ist die Resistenzrate in Indien. Das Land übrigens, das weltweit ammeistenAntibiotika produziert. Ummöglichst viel Geld zu verdienen, werden zudem sehr viele Medikamente gefälscht. Das heißt, sie haben nicht den Wirkstoffgehalt, der auf der Packung steht. Oft sind Raubkopien im Handel mit viel zu geringem Wirkstoffgehalt, was die Resistenzentwicklung in gefährlichem Maße fördert. Wenn wir in der Medizingeschichte einen Blick zurückwerfen: Welche großen Fortschritte sind bezüglich Hygiene in den letzten Jahrzehnten überhaupt passiert? Prof. Geiss: In den letzten 30 Jahren hat sich in der Hygiene nicht viel Neues getan. Wir haben

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