Sana Blaubuch

K R A N K E N H A U S H Y G I E N E I N T E R V I EW 07 Auf dem G-7-Gipfel stand das Thema «Antibiotikaresistenzen» mit ganz oben auf der Agenda. Ist das die Reaktion auf ein langsam außer Kontrolle geratendes, globales Gesundheitsproblem? Dr. Philippi: Diese Reaktion hing sicher auch mit der aktuellen Ebolakrise in Afrika zusammen. Richtig aber ist: Der Umgang mit Antibiotika in den letzten Jahrzehnten ist in seinen Folgen unterschätzt worden. Zwischen 2000 und 2010 ist der weltweite Antibiotikaverbrauch in der Hu- manmedizin um 36 Prozent gestiegen. Auch der Einsatz in der Tierhaltung ist enorm. Mit dieser freizügigen Verwendung von Antibiotika wurden Resistenzen gezüchtet. Wir haben mittlerweile ein globales Problem bei der Versorgung von Krankheiten. Und diese machen längst nicht mehr vor den Grenzen von Ländern Halt. Nationale Pläne und Aktivitäten reichen deshalb alleine nicht mehr aus. Prof. Geiss: Mit dem Aufkommen der Antibiotika in den 1960er-Jahren herrschte der Glaube, die Infektionskrankheiten weltweit besiegt zu haben. Das hat sich schnell als großer Irrtum herausgestellt, worunter wir in den letzten 20 Jahren zunehmend leiden. Die sogenannten neuen Infektionskrank- heiten oder Emerging Infectious Diseases—und hierzu zählen nicht nur die neuen Viruskrank- heiten wie Ebola, Chikungunya oder Dengue, sondern auch Infektionen durch multiresistente Bakterienarten—werden heute durch Tourismus, Flugverkehr und internationale Vernetzung sehr schnell weiterverbreitet. Wir werden mehr denn je mit Krankheiten konfrontiert, die vor 20 Jahren weitgehend unbekannt waren. DieWHO hat im Jahr 2000 als eines der Millenniumsziele den Kampf gegen dieAntibiotikaresistenz herausgestrichen, muss aber selbst konstatieren, dass seit 2000 nicht viel passiert ist, im Gegenteil, die Situation hat sich eher noch verschlechtert. Erschwerend kommt hinzu, dass seit den 1980er-Jahren die Neuentwicklung von Antibiotika so gut wie auf- gehört hat. «Big Pharma» hat sich aus der An- tibiotikaforschung zurückgezogen. Trotzdem ist unser Umgang mit den Antibiotika weitgehend unkontrolliert und irrational, so als ob diese Me- dikamente unbegrenzt zur Verfügung stünden. Auch die Bundesregierung hat jüngst einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Im Zentrum steht unter anderem die Fortbildung von Ärzten und Hygienepersonal, um die Infektionsgefahr einzudämmen. Trifft man damit wirklich den Kern des Problems? Dr. Philippi: Es ist zweifellos ein Schwerpunkt des Problems. Wenn wir bezüglich Hygiene und Antibiotikaversorgung etwas verändern wollen, hat das zunächst sehr viel mit Wissen und Verhal- tensweisen zu tun. Nun kann man Erwachsene nicht mit Geboten und Verboten steuern, sondern sie müssen aus dem Erfahrungswissen heraus agieren. Und das betrifft nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Ärzte, Apotheker und nicht zuletzt die Patienten selbst. Fortbildung ist und bleibt die zentrale Maßnahme. Schauen Sie nur einmal ins Medizinstudium. Dort ist der Stellenwert von Hy- giene überschaubar. Das Wissen darüber wird in einem späteren Berufsabschnitt erworben. Deshalb muss die Weiterbildung im laufenden Betrieb in Krankenhäusern gewährleistet werden. Das ist unsere Aufgabe. K R A N K E N H A U S H Y G I E N E Alles steril, oder was? Ein Gespräch über Bakterien, Keime und Antibiotika—und warum es keine 100-prozentige Hygienesicherheit geben kann. Dr. Michael Philippi ist Vorstandsvor­ sitzender der Sana Kliniken AG Info: Mehr zum Thema Keime und Bakterien auf Seite 12 ff.

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