Sana Blaubuch

08 I N T E R V I EW K R A N K E N H A U S H Y G I E N E Prof. Geiss: Hinzu kommt: Jeder glaubt heute zu wissen, was Hygiene ist. Deshalb lassen sich Ärzte und Pflegekräfte in Kliniken und im nie- dergelassenen Bereich nicht gerne sagen, wie Hygiene geht. Man trifft auf wenig Verständnis, wenn man erklärt, dass das Einhalten von Hy- giene etwas mit Risikoprävention zu tun hat. Aufklärung und Fortbildung sind die Grundpfei- ler, auch im Hinblick auf die Antibiotikathematik. Wir müssen Ärzte und Patienten schulen und klarmachen, dass die reflexhafte Verschreibung von Antibiotika bei jedem Infektionsverdacht zu immer mehr antibiotikaresistenten Keimen führt. Deren Ausbreitung auch in der Normalbevöl- kerung wird uns in absehbarer Zeit mit einer massiven Zunahme nicht mehr behandelbarer Infektionen konfrontieren. Und hier schließt sich der Kreis: Bei der Behandlung dieser Patienten müssen im Krankenhaus besondere Hygienere- geln eingehalten werden, die wiederum nur bei entsprechendemWissen erfolgreich umgesetzt werden können. Und genau hierfür braucht es ausgebildetes Fachpersonal, das heißt Hygie- niker und Infektiologen, die es in Deutschland mangels Aus- und Weiterbildungsinteresse viel zu wenig gibt. Man glaubt es kaum: In ganz Bayern ist 2015 bisher ein einziger Kandidat für die Facharztprüfung Hygiene zu verzeichnen. Studien weisen darauf hin, dass 30 Prozent aller keimbedingten Krankenhauserkran- kungen abwendbar seien. Eine dramatische Zahl, wo liegen die Ursachen dafür? Prof. Geiss: Ich drehe mal die Frage um: 30 Prozent von wie viel? Sprich: Wie viele krankenhauser- worbene Infektionen treten in einem durchschnitt- lichen deutschen Krankenhaus auf? Anfang der 1990er-Jahre gab es eine große Prävalenzstudie in 74 bundesdeutschen Krankenhäusern mit ins- gesamt 15.000 Patienten. Bei 3,5 Prozent dieser Patienten lag eine nosokomiale Infektion vor. Im Klartext: Knapp vier von 100 Patienten erwer- ben im Krankenhaus eine Infektion. 2010 wurde eine gleiche Studie aus 23 europäischen Ländern veröffentlicht, die eine Rate von sieben Prozent erbrachte, aber bei einem deutlichen Nord-Süd- Gefälle. In Nordeuropa und in Deutschland liegen wir immer noch bei einem Wert von 3,5 Prozent. Wenn wir jetzt davon 30 Prozent nehmen, sind wir bei einem Prozent. Das heißt: Wir könnten ungefähr eine Infektion verhüten. Ganz klar: Jede im Krankenhaus erworbene Infektion ist eine zu viel. Aber die Dramatik der 30 Prozent ist ein unkorrektes Spiel mit der Statistik. Warum kommt es eigentlich zu Infektionen im Krankenhaus? Prof. Geiss: Ganz einfach: Im Krankenhaus wer- den Patienten behandelt, das heißt, wir berühren sie mit unseren Händen, nehmen Keime vom Patienten auf und können sie auch weitergeben. Gleichzeitig durchbrechen wir mit invasiven Maß- nahmen die intakte Haut, den wichtigsten Teil der körpereigenen Abwehr. Dadurch können Keime dorthin gelangen, wo sie Schaden verursachen. Dr. Philippi: Und das mittlerweile vor allem bei Patienten in sehr geringem oder sehr hohemAl- ter, wo wir die Grenzen der Medizin permanent verschieben. Hochkomplexe Operationen bei alten Menschen sind heute Alltag, und wir holen Babys mit einem Gewicht auf die Welt, das man sich vor 20 Jahren noch nicht vorstellen konnte. Prof. Geiss: Das Immunsystem bei Neugeborenen und alten Patienten ist viel instabiler als beim gesunden Menschen mit normaler Konstitution. Mit dem Sana Hygienemanagement soll die Gefahr eingedämmt werden. Welche Schwerpunkte verfolgen Sie damit und wie sind Ihre Erfahrungen? Prof. Geiss: Alle Infektionen zu vermeiden, ist unmöglich. Das Ziel muss lauten: So viel wie möglich verhindern. Dr. Philippi: In einem Satz: Wir können mit gutem Hygienemanagement etwas verhindern, was nicht sein muss. Und uns an den oben erwähnten Pro- zentsätzen abarbeiten. Das ist die Verpflichtung eines jeden Krankenhausträgers. Wir schaffen deshalb Transparenz und Vernetzung nach innen. Dafür haben wir einen eigenen Konzernbereich Hygiene etabliert. Hygieneärzte und -fachkräfte arbeiten miteinander im Team. Und die Regeln, die wir vereinbart haben, werden kontrolliert und auditiert. Info: Mehr zum Thema Händedesinfektion auf Seite 31 ff. Prof. Dr. Heinrich K. Geiss Leiter des Bereichs Hygiene und Infektiologie der Sana Kliniken AG

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