Kein Tabuthema mehr: Inkontinenz behandeln

In Deutschland leiden ca. zehn Millionen Menschen unter Inkontinenz. Es sind deutlich mehr Frauen als Männer betroffen. Etwa die Hälfte von ihnen leidet an einer Stuhl-inkontinenz. Doch trotz dieser Zahlen bleibt das Thema Inkontinenz ein Tabu. Die Blase oder den Darm nicht unter Kontrolle zu haben, empfinden viele Betroffene als entwürdigend. Selbst mit einem Arzt oder einer Ärztin zu sprechen, kostet Überwindung. „Einen schwachen Afterschließmuskel zu haben, ist keine Begleiterscheinung des Alterns und nichts, was die Betroffenen akzeptieren müssen. In den meisten Fällen ist dies behandelbar“, sagt Dr. med. Mark Lienert, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Sana Krankenhaus Gerresheim.

Das Team um Chefarzt Lienert hat es sich zum Ziel gesetzt, Möglichkeiten der Diagnostik und Behandlung aufzuzeigen und so zu helfen.

Es gibt verschiedene Arten der Stuhlinkontinenz:

• Grad 1: Häufige Wäscheverschmutzung oder unkontrolliertes Entweichen von Darmgasen;
• Grad 2: Häufige Wäscheverschmutzung oder unkontrolliertes Entweichen von Darmgasen und Verlust von flüssigem Stuhl;
• Grad 3: Vollständig unkontrollierter Abgang von Stuhl und Darmgasen.

Durch regelmäßige Beckenbodengymnastik, Muskeltraining und Bewegung erlangen zwei Drittel der betroffenen Personen die Kontrolle über ihren Darm zurück. „Nicht jede Stuhlinkontinenzform muss gleich chirurgisch behandelt werden. Es gibt unterschiedliche Formen der Erkrankung, an welche die Therapie individuell angepasst werden muss", so Chefarzt Dr. Lienert.

Verhaltenstraining:

Herkömmliche Therapien bei Inkontinenz sind zum Beispiel Verhaltenstraining. Beim Verhaltenstraining kommen Änderungen des Lebensstils, eine Anpassung der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme, Schließ-muskeltraining, Beckenbodengymnastik und Physiotherapien zum Einsatz. Auch die gezielte Anwendung von Biofeedback kann helfen.

Biofeedbacktraining:

Dabei wird durch schwache Ströme die Muskulatur von außen ohne operativen Eingriff direkt stimuliert und damit der Schließmuskel – und auch der Beckenboden – gekräftigt. Begleiteffekt ist auch die Verbesserung einer Harninkontinenz.

Die InterStim-Therapie

Die InterStim-Therapie mit einem Beckenbodenschrittmacher (auch sakrale Neuromodulation genannt) nutzt die Sakralnerven, die nahe dem Steißbein liegen. Die Sakralnerven steuern die Blasen- und Darmfunktion und die damit in Verbindung stehenden Muskeln. Wenn die Kommunikation zwischen Gehirn und Sakralnerven nicht funktioniert, können die Nerven nicht für eine ordnungsgemäße Funktion der Blase oder des Darms sorgen.

Bei der InterStim-Therapie werden sanfte elektrische Impulse von dem Schritt-macher an die Sakralnerven abgegeben. Auf diese Weise kann das natürliche Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung verbessert oder wieder-hergestellt werden. Somit unterstützt die Therapie die Kommunikation zwischen Gehirn und Nerven und erleichtert die Wiederaufnahme normaler Aktivitäten.

Wenn herkömmliche Therapien nicht helfen, wird die InterStim-Therapie oft als erster minimalinvasiver Eingriff in Betracht gezogen. Dabei lässt sich die Wirkung durch eine einfache Teststimulation mit einem externen Impulsgeber ausprobieren, um die Wirksamkeit bei Patientinnen oder Patienten festzustellen. Sollte eine Änderung der Symptome von mindestens 50 Prozent zu sehen sein, kann eine dauerhafte Implantation des Blasenschrittmachers durchgeführt werden. Die Parameter der elektrischen Stimulation können jederzeit an die Bedürfnisse des Patienten und der Patientin angepasst werden. Zudem hat der Patient oder die Patientin mit einer Fernbedienung die Möglichkeit, den Impulsgenerator ein – und auszuschalten oder auch die Stärke der Impulse innerhalb definierter Grenzen zu variieren.

Jedes Jahr werden weltweit rund 25.000 Menschen mit einem Interstim-Implantat ausgestattet und auch das Sana Krankenhaus Gerresheim setzt die InterStim-Therapie seit vielen Jahren erfolgreich ein“, bestätigt Chefarzt Dr. Lienert und ergänzt: "Neben einer Inkontinenz der Blase können mit dieser Therapie auch andere Beckenboden-Funktionsstörungen, wie chronischer Beckenschmerz, interstitielle Zystitis, Stuhlinkontinenz und Verstopfung behandelt werden."

Inkontinenz muss kein Schicksal sein! Es gibt erfolgreiche Therapieaussichten, das zeigen Daten der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. Ihnen zufolge ist Inkontinenz mittlerweile zu 30 bis 50 Prozent heilbar und kann in bis zu 80 Prozent gelindert bzw. kompensiert werden. Hilfe ist sehr wohl möglich.

 

 

Dr. med. Mark Lienert
Chefarzt Allgemein-, Viszeral- und Onkologische Chirurgie

mark.lienert@sana.de