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Narkose bei Rothaarigen

Was hat Pippi Langstrumpf mit der Anästhesie zu tun?

Dass Pippilotta, Viktualia, Rollgardina, Pfefferminz, Efraimstochter Langstrumpf nur schwer zu bändigen war, ist jedem europäischen Erdenbürger aus seiner Jugend noch augenscheinlich in Erinnerung. Wer kann schon sein Pferd mit einer Hand heben. Ist es nicht auch diese Red Bull Eigenschaft nach der wir alle heimlich streben: Nie müde, immer wach und voller Energie und Tatendrang.

„Allein das möge schon der wissenschaftlichen Beweisführung dienen, dass Rothaarige sich nicht so leicht bremsen, geschweige denn in den Schlaf versetzen lassen und somit zu einer Herausforderung für jeden Anästhesisten werden“, so Prof. Dr. Gisbert Knichwitz, Chefarzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie. Eigentlich sind es die Schotten und die Iren gewesen, die mit ihrer Mutation im langen Arm des Chromosom 16 und Ausbildung eines speziellen MC1R-Gens mit Hemmung des braunen Hautfarbstoffes Melanin zur verstärkten Bildung von rotem Hautfarbstoff Phäo-Melanin geführt haben. So entstand das sympathische Gesicht einer Pippi Langstrumpf mit roten Haaren, heller Haut und Sommersprossen vornehmlich im Norden Europas. Nur zwei Prozent der Menschen weltweit haben rote Haare, aber über 40 Prozent der keltischen Völker Schotten und Iren, die gemeinhin als sehr trinkfest gelten. Dies mag schon ein weiterer Beweis sein für den höher zu erbringenden Einsatz, Rothaarige in den Schlaf zu versetzen.

Wissenschaftliche Studien

Nun genug der Stigmatisierung, was sagt die Wissenschaft dazu? Hat diese spezielle Genmutation mit Hemmung des Melanocortin-1-Rezeptors (MC1R) auch Auswirkungen auf andere Stoffwechselprozesse? Viele Fragen wurden in kleinen Versuchsgruppen untersucht. „Zusammenfassend sollen Rothaarige empfindlicher auf Kälte und Hitze reagieren, sprechen empfindlicher auf bestimmte Opiate (Fortral, nicht mehr im Handel) an und sind unempfindlicher gegenüber bestimmten Narkosemitteln wie Desfluran, Midazolam. Dieser Widerspruch konnte wissenschaftlich bisher noch nicht zufriedenstellend aufgelöst werden“, weiß Prof. Dr. Knichwitz. „Dass das MC1R Gen ein Protein produziert mit unterschiedlicher Wirkung an der Haut und im Gehirn ist dabei reiner Zufall. Die Haarfarbe alleine hat also per se nichts mit dem Schmerzverhalten zu tun.“  In einer größer angelegten australischen Studie mit 468 Probanden konnte so auch kein Unterschied in der Erholungszeit und der Schmerzreaktion von Rothaarigen nach einer Narkose (Propofol, Sevofluran, Desfluran) gefunden werden. Sicher ist auch: Rothaarige bluten nicht mehr und haben auch keine höhere Allergierate.

Ist es also ein gepflegter „Mythos“ oder eine selbsterfüllende Prophezeiung?

Es gibt natürlich individuelle Unterschiede zwischen allen, nicht-eineiigen Menschen, aber keine Sorge – die Anästhesie wird nicht nach Haarfarbe durchgeführt. In der modernen Anästhesie wird der Narkose- und Schmerzmittelbedarf für jeden Menschen individuell erfasst und fortlaufend überwacht. „Beim Anästhesisten schlafen also auch Rothaarige am sichersten“, so Prof. Dr. Knichwitz.

Kontakt

Prof. Dr. Gisbert Knichwitz

Prof. Dr. Gisbert Knichwitz

Chefarzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Sana Dreifaltigkeitskrankenhaus Köln

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