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Zucker und Süßstoffe

Süßungsmittel: Wie (un)gesund ist was?

Der Geschmacksinn ist neben Sehen, Hören, Fühlen und Riechen einer der fünf Sinnesreize des Menschen zur Kommunikation mit seiner Umwelt. Im Gegensatz zu „salzig“ und insbesondere „sauer“ oder gar „bitter“ nehmen wir die Geschmacksrichtung „süß“ in der Regel als angenehmen Sinnesreiz wahr. Zucker war bis in die frühe Neuzeit ein Luxusartikel und den Wohlhabenden vorbehalten. Das einfache Volk süßte, wenn überhaupt, mit Honig, eingekochtem Traubensaft oder gar nicht. Auch seit der industriellen Massenproduktion ab Mitte des 19. Jahrhunderts blieb Zucker für breite Bevölkerungskreise oft unerschwinglich.

Zucker ist zu einem Gesundheitsproblem geworden

Heutzutage ist die Situation eine ganz andere. Zucker ist überall verfügbar und praktisch für jedermann erschwinglich. Zucker ist aber auch zu einem erheblichen Problem für die Gesundheit vieler Menschen geworden. Die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus hat sich zu einer Volkskrankheit und zu einem wesentlichen Risikofaktor für zahlreiche Krebserkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall entwickelt. Ursache des Diabetes mellitus ist nicht nur der weit verbreitete Bewegungsmangel (wie von der Zuckerindustrie behauptet wird), sondern in erster Linie der inzwischen viel zu hohe Zuckerkonsum.

Zuckerkonsum ist viel zu hoch

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt eine maximale Tagesmenge von etwa sechs Teelöffeln Zucker, das entspricht etwa 25 g pro Tag beziehungsweise etwas mehr als 9 kg pro Jahr. Während der Pro-Kopf-Verbrauch gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich noch bei rund 6 kg pro Jahr gelegen hatte, ist der Konsum in der Bundesrepublik auf derzeit rund 35 kg pro Jahr angestiegen. Dabei ist noch nicht einmal der Verzehr von Süßigkeiten das größte Problem. Zwei Drittel des Jahresverbrauches steckt in industriell verarbeiteten Getränken, Backwaren, Milchprodukten und vor allem Fertiggerichten. Ein Esslöffel Ketchup enthält beispielsweise einen Teelöffel Zucker, ein Frucht-Joghurt rund sechs Teelöffel Zucker und eine Dose Limonade rund zehn Teelöffel Zucker. Oberflächlich betrachtet liegt es also nahe, den ungesunden Zucker einfach durch „gesunde“ Süßungsmittel zu ersetzen. Aber ist das eine gute Lösung? Grundsätzlich unterscheiden Experten künstliche Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe.

Künstliche Süßstoffe sind unnatürlich

Mittlerweile sind rund ein Dutzend künstlicher Süßstoffe in der Europäischen Union zugelassen, neben Saccharin beispielsweise Aspartam oder Cyclamat. Diese Produkte gibt es als Tabletten, Streusüße oder in flüssiger Form. Neuerdings wird auch Stevia als vermeintlich „natürlicher“ Süßstoff propagiert und insbesondere von der Getränkeindustrie stark beworben. Dabei handelt es sich um isolierte Steviolglycoside. Die süß schmeckenden, chemischen Verbindungen des südamerikanischen Süßkrautes müssen jedoch in aufwändigen chemischen Verfahren aus der Pflanze extrahiert werden, womit die Natürlichkeit praktisch verloren geht.

Zuckeraustauschstoffe als die bessere Alternative?

Daneben gibt es auch sogenannte Zuckeraustauschstoffe. Dabei handelt es sich um Zuckeralkohole, die auch in Pflanzen enthalten sind oder im menschlichen Stoffwechsel als Zwischenprodukte entstehen können. Typische Vertreter sind beispielsweise Xylit, Sorbit oder Erythrit. Klinische Studien weisen darauf hin, dass Xylit vor Karies schützen kann, weshalb dieser Zuckeraustauschstoff beispielsweise in Kaugummi enthalten ist. Xylit wird gerne als natürlicher Zucker aus finnischem Birkenholz beworben (Birkenzucker), doch wird er meist aus den Abfällen von Maiskolben gewonnen. Xylit hat bei gleicher Süßkraft nur halb so viele Kalorien wie Haushaltszucker, kann aber in größeren Mengen unangenehm blähend oder abführend wirken. Erythrit und Sorbit süßen nur halb so stark.

Süßungsmittel zur Gewichtsregulierung? Kritische Stimmen mehren sich!

Die Sinnhaftigkeit der genannten Süßungsmittel zur Gewichtsregulierung wird kontrovers diskutiert. Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR hält unter Bezugnahme auf die aktuellen EU-Richtlinien Süßungsmittel für gesundheitlich unbedenklich, solange die definierten Höchstmengen nicht überschritten werden. Selbst bei großzügiger Verwendung werden diese Grenzwerte im Alltag praktisch nicht erreicht. Auch gibt es bislang keine Hinweise, dass Süßungsmittel krebserregend sein könnten.

Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft DDG hält den Verzehr von Süßstoffen bei Einhaltung der jeweiligen Höchstmengen für gesundheitlich unbedenklich; sie hält den gelegentlichen Einsatz im Rahmen der Diabetestherapie sogar für sinnvoll. In den zugrundeliegenden Studien wurden keine appetitanregenden oder ungünstigen Effekte auf die Insulinwirkung gefunden.

Gleichwohl mehren sich die kritischen Stimmen. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie DGE warnt schon seit vielen Jahren vor dem Einsatz von Süßstoffen. Über eine Störung des Darm-Mikrobiomes können diese den Blutzucker und damit das Diabetesrisiko sogar erhöhen, weshalb nach Ansicht der DGE Süßstoffe kein geeignetes Mittel sind, um das Gewicht zu halten oder gar abzunehmen.

Aufgrund der Bedenken erfreuen sich die Zuckeraustauschstoffe als Alternative zu künstlichen Süßstoffen zunehmender Beliebtheit. Aber auch hier ist Vorsicht geboten.  In der renommierten Fachzeitschrift Nature Medicine erschien im März 2023 eine Studie, die zwar keinen Beweis, wohl aber einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Erythrit und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall aufzeigte. Gerade bei Menschen mit Diabetes ist dieses Risiko ohnehin erhöht.

Süßstoffe auf dem Prüfstand

Mittlerweile rät selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO generell vom Verzehr sämtlicher Süßstoffe ab, weil diese nicht zur Gewichtsreduktion beitragen und mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergehen. Diesen Empfehlungen liegt eine systematische Durchsicht von 283 wissenschaftlichen Studien zugrunde. 

Europäische Experten kritisieren diese Warnung, weil die zugrunde gelegten, schädlichen Dosen im Alltag niemals erreicht würden. Andererseits wurden die jeweiligen Süßstoffe nur einzeln untersucht. Die in vielen Lebensmitteln übliche Kombination verschiedener Süßstoffe könnten auch bei Einhalten der jeweiligen Grenzwerte durchaus schädliche Effekte auf den menschlichen Organismus entfalten. Die Effekte auf den Stoffwechsel von Kindern und Schwangeren wurde erst gar nicht überprüft. Auch die Auswirkungen auf das Mikrobiom des Darmes sind noch weitgehend unerforscht.

Bislang nicht untersucht ist außerdem die Tatsache, dass Süßstoffe auch in die Umwelt gelangen. Da sie nach dem Verzehr in unveränderter Form wieder ausgeschieden und selbst in Kläranlagen nicht abgebaut werden können, finden sie sich in unterschiedlichen Konzentrationen im Oberflächen- und Grundwasser. Ihre dortigen Auswirkungen sind derzeit noch nicht absehbar.

Auch Alternativen zu Haushaltszucker und Süßungsmitteln sind nicht perfekt

Bei Dicksäften wird der Saft von Äpfeln, Birnen oder Agaven durch ein Vakuum-Verfahren zu einem dickflüssigen Sirup konzentriert. Dadurch bleiben wichtige Spurenelemente und zum Teil auch die hochwertigen, sekundären Pflanzenstoffe erhalten. Allerdings beinhalten solche Konzentrate einen hohen Anteil an Fructose. Diese ist zwar subjektiv noch süßer als Haushaltszucker. Der vermeintlich „gesunde“ Fruchtzucker führt aber zu einer noch höheren Insulin-Resistenz und fördert damit die Entstehung einer Fettleber - mehr als der übliche Haushaltszucker. Dieses Phänomen gilt natürlich auch für alle anderen Lebensmittel, denen Fructose als Zuckerersatz beigemischt wurde.

Kokosblüten-Zucker soll laut Herstellerangaben einen wesentlich niedrigeren glykämischen Index als Haushaltszucker haben. Damit würde der Blutzuckerspiegel nicht so stark ansteigen und der Insulinspiegel konstanter bleiben. Außerdem soll er relevante Mengen an Mineralien und Vitaminen enthalten. Damit wäre dieser Zucker eigentlich ganz ideal. Doch er wird von asiatischen Kleinbauern in aufwändiger Handarbeit aus Kokospalmenblüten gewonnen und kostet derzeit bis zu 40 Euro pro Kilogramm. Damit wird er wie im Mittelalter zum absoluten Luxusprodukt. Außerdem sind die Importwege lang und damit die Ökobilanz schlecht.

Die Lösung: „Weniger süß“

Die beste Lösung für unsere Gesundheit und für die Umwelt ist es, den individuellen Süßungsbedarf generell zu senken. Durch das allgegenwärtige Süßen, egal ob mit Zucker, künstlichen Süßstoffen oder Zuckeraustauschstoffen, kommt es nicht nur zu einer Überlagerung des natürlichen Eigengeschmacks von Lebensmitteln, sondern auch zu einer inadäquaten Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn, die das natürliche Sättigungsgefühl ignoriert und zu einer übermäßigen Nahrungsaufnahme führt.

Eine dauerhafte Geschmacksprägung von „sehr süß“ in Richtung „weniger süß“ ist somit wesentlich sinnvoller, als der Einsatz von Süßungsmitteln – und das gilt nicht nur für Menschen, die abnehmen möchten. Die Prägung des Geschmacks sollte nach Möglichkeit schon im Kindesalter beginnen. Bei Erwachsenen lässt sich eine solche Neuprägung nicht von heute auf morgen erzwingen. Zu empfehlen ist eine langsame, aber konsequenten Umstellung innerhalb von Monaten. Wichtig ist es auch bewusst zu essen, die Wertigkeit eines Lebensmittels in den Vordergrund zu rücken und auf ein angenehmes Sättigungsgefühl zu achten.

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Dr. Michael Bardutzky
Facharzt für Innere Medizin | Sportmedizin
Präventivmediziner bei Sana Praevention Karlsruhe

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