Medizinische Schwerpunkte

Geriatrisches Assessment

Abgesehen von einer Notfallversorgung steht am Anfang des Behandlungsprozesses grundsätzlich eine umfassende Analyse aller die Krankheit und deren Beeinflussungsmöglichkeiten betreffenden Umstände („Geriatrisches Assessment“). Diese bildet die Basis für alle weiteren Maßnahmen.

Geriatrie ist immer Teamarbeit. Zum multiprofessionellen Team unserer geriatrischen Klinik gehören Ärzte, Krankenpflegepersonal, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Sprachtherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter sowie eine Seelsorgerin, die gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Patienten eine optimale Behandlung erhalten.

1. Anamnese und körperlicher Status

Grundlage der medizinischen Versorgung ist neben der exakten Erhebung der Krankheitsvorgeschichte eine ausführliche körperliche Untersu­chung. Sie ist Voraussetzung zur Erkennung aller bestehenden Krankheiten und körperlichen Ein­schränkungen, dazu gehören auch Kurztests zu der Funktion des Sensoriums, insbesondere Sehen und Hören („Geriatrisches Screening“).

2. Psychischer Status

Gerade angesichts der Bedrohung durch eine oft chronische Krankheit ist auch die Untersuchung der psychischen Situation des Patienten für ein umfassendes Bild notwendig. Besondere Aufmerksamkeit wird Störungen der Orientierung und der Merkfähigkeit gewidmet, die auf einen dementiellen Prozess hinweisen könnten.

3. Subjektives Befinden

Wie der Patient den eigenen Gesundheitszustand empfindet, ist für Lebensqualität und Motivation von großer Bedeutung und unterscheidet sich oft von dem in den Untersuchungen festgestellten Befund.

4. Medizinische Daten

Anamnese und körperlicher Status werden durch apparative und Laboruntersuchungen sinnvoll ergänzt. Sämtliche Maßnahmen, auch in der Diagnostik, werden dabei unter Berücksichtigung der komplexen Gesamtsituation, der Therapiekonsequenzen und der erreichbaren Lebensqualität entweder eingesetzt oder gegebenenfalls zurückgestellt. Dabei werden Indikationen bei Verfahren, die den Patienten belasten oder als riskant angesehen werden, besonders kritisch.

5. ADL-Status

Wesentlich für Lebensqualität ist die Selbständigkeit bei Alltagsaktivitäten. Einschränkungen müssen erkannt und dokumentiert werden. Für diesen Bereich stehen standardisierte Beurteilungsskalen zur Verfügung, wie beispielsweise der Barthel - Index oder die FIM - Skala (Functional Independence Measure).

Wichtig ist auch die Erfassung aller dem Patienten zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und seine Fertigkeit im Umgang mit diesen Hilfsmitteln.

ADL = "activities of daily living", Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Waschen, Anziehen, Essen

6. Mobilität

Einschränkungen der Beweglichkeit sind das Kardinalproblem nahezu jedes geriatrischen Patienten. Die fehlende Mobilität macht ihm die Krankheit schmerzlich bewusst und begrenzt seine Alltagskompetenz sowie die gesellschaftliche Teilhabe. Die Defizite in der Mobilität wie auch erhaltene Funktionen sind genau zu beschreiben. Sitz, Stand, Gang und die Funktion von Rumpf und der oberen Extremitäten werden analysiert, dazu Beweglichkeit der Gelenke, Muskeltonus, Kraft, Ausdauer und Koordination.

7. Kommunikationsfähigkeit

Als besonders gravierender Mangel an Lebensqualität wird von den Patienten eine Einschränkung der Kommunikationsfähigkeit empfunden. Entsprechende Störungen können direkt (z. B. durch Sprachstörungen) oder indirekt (Kommunikationsverlust durch Mobilitätseinschränkungen, häufig auch aus Scham wegen einer bleibenden Behinderung) ausgelöst sein.

Daraus resultieren häufig Depressionen und Vereinsamung. Die Diagnostik dieses Bereiches gestaltet sich entsprechend kompliziert, ist aber für die Einschätzung der Gesamtsituation unverzichtbar, besonders auch angesichts der Tatsache, dass nahezu jede therapeutische Maßnahme die Kommunikation mit dem Patienten erforderlich macht.

8. Wohnverhältnisse

Die Wohnung ist der engste Lebensraum des Patienten, besonders im Alter bei nachlassender Mobilität. Für die Einschätzung, wie er zu Hause wie­der zurecht­kommt, ist eine exakte Beschreibung notwendig. Die genauesten Erkenntnisse liefert der Hausbesuch eines Teammitgliedes, beispielsweise eines Ergothera­peuten. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Fragen, wie sich der Patient in seiner Wohnung bewegen und die Alltagsaktivitäten bewältigen kann. Hindernisse werden beschrieben und Verbesserungen angeregt. Daneben spielen Risikoerkennung (z. B. Sturzgefahren, Schwierigkeiten im Umgang mit Herd oder Ofen) und Trainingsbedarf (beispielsweise die Anzahl der Stufen auf dem Weg zur Haustür) eine wichtige Rolle. In vielen Fällen wird eine Wohnraumanpassung erforderlich, um dem Patienten ein Weiterleben in der eigenen häuslichen Umgebung zu ermöglichen.

9. Soziales Umfeld

Entscheidenden Einfluss auf die Lebenssituation haben Angehörige und andere Bezugsperso­nen. Daher werden sie in alle Überlegungen mit einbezogen. Dabei geht es ebenso um Alltagsfra­gen, wie die Unterstützung des Patienten in allen Lebensberei­chen, wie auch um die Störung der sozialen Beziehungen durch die Krankheit. Häufig trifft die Erkenntnis, dass nichts wieder so sein wird, wie es einmal war, die Angehörigen genauso hart wie den Patienten. Deren Sorgen und Nöte sind als wesentlicher Anteil der Gesamtproblematik zu identifizieren.

10. Ökonomischer Status

Nicht zu vernachlässigen sind die Auswirkungen der Krankheit auf die finanzielle Situation (und umgekehrt). Durch Fortschritte der Medizin und moderne Pflegetechniken ist heute jedes chronisch gesundheitliche oder pflegerische Problem auch in der eigenen Wohnung lösbar, wenn auch mit hohem organisatorischem und finanziellem Aufwand. Eine solche Versorgung ist allerdings ökonomisch nur schwer tragbar, oft auch nicht unter Zuhilfenahme der Pflegeversicherung.