Moderne Schilddrüsenschirurgie

In Deutschland werden derzeit etwa 75.000 Schilddrüsenoperationen pro Jahr durchgeführt. Dieser Trend ist aufgrund strengerer Indikationsstellungen deutlich rückläufig, waren es noch 2006 über 100.000 Eingriffe (dies entspricht einem Rückgang von über 25%). In Deutschland liegt die Zahl der Schilddrüsenresektionen im Vergleich zu den USA, England oder den skandinavischen Ländern immer noch 3-6 mal höher. Gründe für eine Operation der Schilddrüse sind in über 80% euthyreote benigne Knotenstrumen zur Dignitätsklärung oder wegen mechanischer Beeinträchtigung. 15-20% der Operationen betreffen hyperthyreote Strumen und in etwa 1-2% stellt ein Schilddrüsenkarzinom die Indikation dar. 
Historisch betrachtet bestand in den Anfängen der Schilddrüsenchirurgie, vor über 200 Jahren, ein hohes Komplikationsrisiko mit einer damals beschriebenen Mortalität von 75%. Durch medizinischen Fortschritt konnten die operativen Risiken zunehmend reduziert werden, so dass Schilddrüsenresektionen und Strumektomien in der heutigen Zeit mit einem niedrigen Morbiditätsrisiko durchgeführt werden können. Die Rate der permanenten Recurrensparesen liegt in Zentren unter 1%.
Das intraoperative Neuromonitoring, welches in den 90er Jahren entwickelt wurde, ist inzwischen flächendeckend Standard. Hierdurch kann das Risiko einer beidseitigen Recurrensparese nahezu verhindert werden. Ein elektrisches Potential wird über den N. vagus oder N. reccurrens abgegeben und dessen Unversehrtheit über einen speziellen Tubus mit Tubuselektrode festgehalten. Nach Resektion der ersten Seite wird bei Verlust oder Abschwächung des Neuromonitoringsignals der Eingriff abgebrochen und ein zweizeitiges Vorgehen geplant. Wenn sich in der postoperativen Laryngoskopie keine Recurrensparese zeigt oder nach Erholung der Stimmbandfunktion durch medikamentöse und logopädische Therapiemaßnahmen, wird der zweite Eingriff entsprechend geplant. Die postoperative Laryngoskopie ist damit obligat, um eine Stimmbandparese zu verifizieren oder auch auszuschließen. Inzwischen ist außerdem ein kontinuierliches Neuromonitoring des Nervus laryngeus recurrens verfügbar. Dies kommt in erster Linie bei Rezidiveingiffen oder schwierigen Situationen, z.B. einer Stimmbandparese der nicht operierten Seite, zum Einsatz. Als weitere Verbesserung dient die Verwendung einer Lupenbrille, durch die die anatomischen Strukturen deutlich besser erkannt und somit auch schonender präpariert werden können. Diese stehen in unserem Hause als Einzelanfertigung jedem Operateur individuell zur Verfügung. 

Auch die gefürchtete Nachblutung, mit dramatischen Verläufen im Rahmen der Asphyxie, konnte durch mikrochirurgische Dissektionsverfahren und durch die Entwicklung, den Einsatz und die Verwendung moderner Instrumente zur Gewebeversiegelung, auf weniger als 1% reduziert werden. Dennoch bleibt das Risiko einer Nachblutung, welche zu einem sofortigen chirurgischen Handlungsbedarf führt, in seltenen Fällen bestehen. Dies ist nach Ansicht der Fachgesellschaften in Deutschland weiterhin der Grund für die Notwendigkeit einer stationären Behandlung und postoperativen Überwachung und Beobachtung der operierten Patienten und spricht ausdrücklich gegen eine OP im ‚ambulanten Setting‘. 
Als Sorgenkind der Schilddrüsenchirurgie zeigt sich nun in zunehmendem Maße der postoperative Hypoparathyreoidismus. Hier wird das Risiko mit etwa 1-12 % beziffert. Es muss einerseits unterschieden werden, ob ein passagerer oder ein permanenter Hypoparathyreoidismus vorliegt und ob ein Erst- oder Wiederholungseingriff vorliegt. In der Literatur liegt die Rate der permanenten Hypoparathyreoidismus beim Ersteingriff um die 1%, steigt beim Wiederholungseingriff auf 5,6% und liegt bei Vorliegen von Malignomen gar bei 11,6%. 
Trotz möglichst schonender Präparationstechnik und endokrin-chirurgischer Expertise ist eine Minderperfusion der Nebenschilddrüsen bei radikaler Resektion teilweise unvermeidbar. Eine sichere intraoperative Einschätzung der Vaskularisierung und damit der postoperativen Funktion des Organs ist kaum möglich. 
Eine vielversprechende Methode scheint hier in Zukunft die Anwendung der intraoperativen Autoimmunfluoreszenzdarstellung in Kombination mit der intravenösen Gabe von Indocyaningrün zu sein. So können die kleinen Epithelkörperchen besser identifiziert und deren Durchblutung verifiziert werden. Wir kennen dieses Verfahren bei der Darstellung der Durchblutung von Darmanastomosen. Bei kompletter Devaskularisierung im Rahmen der Operation kommt routinemäßig die Autotransplantation in die gerade oder schräge Halsmuskulatur zum Einsatz. Das transplantierte Organ nimmt dort seine Funktion nach 4 -6 Wochen wieder vollständig auf. 
Ursächlich für das vermehrte Risiko eines postoperativen Hypoparathyreoidismus ist eine in letzten Jahren zunehmende Radikalität. Während noch vor 20-30 Jahren, bei benignen Knotenstrumen, überwiegend subtotale oder morphologiegerechte Resektionen stattfanden, welche mit großer Sicherheit die Perfusion der Nebenschilddrüsen erhalten, werden nun zunehmend Thyreoidektomien durchgeführt. Allerdings führen limitierte Resektionen in bis zu 50 % zum Auftreten von Rezidivstrumen. Im Falle einer erneuten Operation ist hier das Risiko für das Auftreten einer Recurrensparese oder eines Hypoparathyreoidismus bis auf das 10-fache erhöht. Dieser Problematik wird nun durch eine zunehmend individuelle Indikationsstellung, auch bezüglich des Resektionsausmaßes, Rechnung getragen. Zielführend ist hier eine frühzeitige Einbindung des endokrinen Chirurgen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kollegen, Endokrinologen und Nuklearmedizinern.
Einen bedeutenden Stellenwert in der Diagnostik nimmt aktuell die Sonografie ein. Durch die zunehmende Verbreitung der Einteilung in TIRADS-Kriterien kann präoperativ das Risiko für ein Schilddrüsenkarzinom eingeschätzt und somit sowohl die Operationsindikation, als auch ein konservatives Procedere untermauert werden. Die früher absolute Indikation bei szintigrafisch kalten Knoten besteht nicht mehr, stattdessen ist die Entscheidung für, oder gegen den Eingriff, im Einzelfall abzuwägen. Eine Feinnadelpunktion oder MiBi-Szintigrafie kann bei kalten Knoten eine weitere Hilfestellung zur Entscheidung geben. 

Die Thyreoidektomie wird beim Morbus Basedow mit hoher immunologischer Aktivität, gleichzeitiger endokriner Orbitopathie, sonografischem Knotennachweis, großer Struma, Schwangerschaftswunsch oder Alter unter 40 Jahren früh elektiv und vor Ablauf der üblicherweise 18-24 Monate langen konservativ thyreostatischen Therapie empfohlen. Ebenso muss der Wunsch der Patientin/des Patienten respektiert werden. Auch eine Hashimoto Thyreoiditis kann eine Operationsindikation darstellen. Bei lokaler Beschwerdesymptomatik, Knoten und schwer einstellbarer Euthyreose sollte eine Operation in Erwägung gezogen werden. Bei stark ausgeprägter Autoimmunerkrankung zeigen Daten nach Thyreoidektomie eine deutlich verbesserte Lebensqualität.
Ein solitärer Schilddrüsenknoten bei jungen Patienten mit sonomorphologischen Malignitätskriterien und außerdem positiver Familienanamnese für ein Schilddrüsenkarzinom sollte zur Vorstellung beim endokrinen Chirurgen führen. Hier ist ggf. auf eine ergänzende Szintigrafie zu verzichten. 
Fokale oder diffuse Autonomien werden je nach Befundkonstellation chirurgisch behandelt, oder einer Radiojodtherapie zugeführt.
Als Basisdiagnostik zur Vorstellung in unserer Schilddrüsensprechstunde gehört die Labor-diagnostik mit Bestimmung von TSH, fT3, fT4 , Calcium und Calcitonin. Bei Autoimmunthyreopathien zusätzlich TRAK, aTPO und TG-AK. Eine Szintigrafie ist je nach Erkrankungsbild sinnvoll. 
Ob noch weitere Untersuchungen notwendig sind, wird im Rahmen der Sprechstunde und der dann durchgeführten Sonografie entschieden. Jede Patientin/jeder Patient erhält präoperativ eine HNO-Untersuchung zur Stimmbandfunktionskontrolle; dies wird unmittelbar postoperativ während des stationären Aufenthaltes erneut überprüft. Somit gelingt ein sicherer Ausschluss oder Nachweis einer frisch aufgetretenen Recurrensparese. 

Alternative Therapieverfahren als gezielte Knotentherapie mittels Alkoholinstillation(PEIT), Lasertherapie (LT), Hochfrequenzablation (HFA), Mikrowellenablation (MWA) oder ‘High Intensity Focused Ultrasound Ablation‘ (HIFA) beschränken sich derzeit auf Studien. 
Frau Eisner leitet zusammen mit Prof. Franke die Sektion Schilddrüsenchirurgie im Sana Krankenhaus Benrath. Auch wir verzeichnen einen Rückgang der Schilddrüsenresektionen auf zuletzt ca. 70 Patienten /anno. Permanente Recurrensparesen waren nicht zu verzeichenen (passager 2), ein Hypoparathyreoidismus trat bei 5 Fällen auf; davon erholten sich alle 5 Patienten. 

 

Prof. Dr. med. Claus Franke
Chefarzt
Facharzt für Allgemein-, Viszeralund
spezielle Viszeralchirurgie
sowie Gefäßchirurgie

claus.franke@sana.de

 

 

 

 

 

 

 

Claudia Eisner
Oberärztin
Facharzt für Allgemein- und
Viszeralchirurgie

claudia.eisner@sana.de