Praxis für Neurochirurgie Neuruppin

Wann ist eine operative Therapie bei degenerativen Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule indiziert?

Bei der Therapie degenerativer Erkrankungen der Wirbelsäule bestehen zwischen den konservativen und operativen Fachdisziplinen häufig divergente Vorstellungen. Erwiesen ist, dass sowohl die konservative als auch die operative Therapie bei korrekter Indikationsstellung zum Erfolg führen.

Vereinfacht kann gesagt werden, dass die Indikation zur konservativen Behandlung dann besteht, wenn keine fokal neurologischen Ausfälle vorliegen und die Beschwerden sich unter der eingeleiteten Therapie bessern. 
Die Indikation für eine operative Therapie besteht, wenn fokal neurologische Ausfälle vorliegen und wenn sich die Beschwerden unter der konservativen Therapie nicht bessern.

Zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche operative Therapie ist die Übereinstimmung von klinischer Symptomatik und morphologischen Befund.  Unter dieser Voraussetzung kann eine Operation empfohlen werden, wenn die operative Korrektur des Befundes eine Besserung der Symptomatik in Aussicht stellt.

Nur ein auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie erfahren Operateur kann den Nutzen und das Risiko einer Operation zuverlässig einschätzen!  

Im Folgenden werden für den zervikalen und lumbalen Bandscheibenvorfall sowie für die zervikale und lumbale Spinalkanalstenose die klinische Symptomatik und Operations-Indikationen besprochen.

Lumbaler Bandscheibenvorfall

Bei einem lumbalen Bandscheibenvorfall kommt es zu einem Austritt von Nucleus-pulposus-Gewebe (weicher Gallertkern) durch den Anulus fibrosus (äußerer Faserring) mit möglicher Folge einer Kompression von Nervenwurzeln.

Das typische Erscheinungsbild ist ein akut auftretender radikulärer Schmerz verbunden mit Kribbelparästhesien im betroffenen Dermatom. In Abhängigkeit von der Größe und Lage des Vorfalles können auch Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen auftreten. 

Die Indikation zur sofortigen operativen Therapie besteht bei einem Kauda-Syndrom (Blasen-Mastdarmstörungen und Reithosenanästhesie) sowie ausgeprägten und progredienten Lähmungen.  
Bei massiven Lumboischialgien, welche durch Schmerzmittelgabe nicht  kontrollierbar sind, ist ein frühes operatives Vorgehen sinnvoll. Cave: Eine rasche Abnahme der radikulären Schmerzen und gleichzeitigem hochgradigen Ausfall der Nervenwurzelfunktion spricht nicht für eine effektive medikamentöse Schmerztherapie sondern für einen drohenden Wurzeltod und Bedarf einer sofortigen operativen Therapie. 

Bei der großen Mehrzahl der durchgeführten Bandscheibenoperationen handelt es sich um Eingriffe elektiver Natur bzw. um Eingriffe bei therapieresistenten Beschwerden nach konservativer Therapie. Durch eine konservative Therapie können 70-90% der symptomatischen Bandscheibenvorfälle erfolgreich behandelt werden. Die konservative Therapie sollte innerhalb von ca. 8 Wochen eine deutliche Besserung der Schmerzen und eine Zunahme der Belastbarkeit bewirken. Eine unkritische Fortführung der konservativen Therapiemaßnahmen birgt die Gefahr der Chronifizierung von Schmerzen („Schmerzgedächtnis“). Auf der anderen Seite hat die korrekte Indikationsstellung bzw. die unkritische  Indikationsstellung einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg und Misserfolg einer Operation.  Es ist allgemein akzeptiert, dass die mit 10-15% benannten Misserfolge bei der operativen Therapie lumbaler Bandscheibenvorfälle zu einem großen Teil auf eine falsche Indikationsstellung (u. a. unklare Diagnose) zurückzuführen ist. 

Lumbale Spinalkanalstenose

Bei der lumbalen Spinalkanalstenose kommt es vor allem zu einer knöchern-ligamentär bedingten Verminderung des Spinalkanal-Durchmessers. Hierdurch kann es zu einer mechanischen Irritation sowie Ischämie der Nervenwurzeln kommen. 

Die degenerative lumbale Spinalkanalstenose tritt typischerweise bei älteren Patienten auf. Das charakteristische Erscheinungsbild der lumbalen Spinalkanalstenose sind belastungs- und haltungsabhängige Lumboischialgien (Claudicatio) verbunden mit einer Verkürzung der Gehstrecke. Hierdurch kann es zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität kommen.

Im Gegensatz zum lumbalen Bandscheibenvorfall kommt es bei einer symptomatischen lumbalen Spinalkanalstenose in der Regel zu einer langsamen Progredienz der Symptome. Bei einer Therapieempfehlung sollte berücksichtigt werden, dass sich im Gegensatz zum Bandscheibenvorfall, bei welchem sich der ausgetretene relativ weiche Nucleus-pulposus zurückbilden kann, das für eine Spinalkanalstenose ursächliche feste knöchern-ligamentäre Gewebe sich von alleine nicht zurückbilden kann.

Führen adäquate konservative Therapiemaßnahmen nicht zu einer spürbaren Besserung der Beschwerdesymptomatik besteht die Indikation für einen operative Erweiterung des Spinalkanals.

Zervikaler Bandscheibenvorfall

Bei einem zervikalen Bandscheibenvorfall kommt es wie bei einem lumbalen Vorfall zu einem Austritt von Nucleus-pulposus-Gewebe. Mögliche Folge sind sowohl die Kompression von Nervenwurzeln als auch die Kompression des zervikalen Rückenmarkes.

Das typische Erscheinungsbild einer zervikalen Nervenwurzel-Kompression sind akut auftretende Zervikobrachialgien verbunden mit einem radikulären Schmerz und  Kribbelparästhesien im betroffenen Dermatom.  Bei stärkerer Nervenwurzel-Kompression können Lähmungserscheinungen auftreten. Bei medialer Lage kann es zu einer Rückenmarkskompression mit einer Querschnitts-Symptomatik kommen.  

Bei neurologischen Ausfällen im Sinne eines Querschnittsyndroms sowie bei ausgeprägten und progredienten Lähmungen ist die Indikation zu einer sofortigen operativen Therapie gegeben. Eine relative Operationsindikation besteht bei leichten fokalen Ausfällen im Bereich der zervikalen Nervenwurzeln sowie bei Versagen der Schmerztherapie. Zu bedenken ist, dass die durch eine Nervenwurzelkompression bedingten Taubheitsgefühle im Arm- und Handbereich wesentlich störender sind und zu deutlichen Einschränkungen führen können (z. B. bei Handwerkern) als Taubheitsgefühle im Bein- und Fußbereich bedingt durch die Kompression einer lumbalen Nervenwurzel. Erfahrungsgemäß bildet sich ein durch eine Nervenwurzelkompression bedingtes länger bestehendes Taubheitsgefühl schlecht zurück. Deshalb ist in solchen Fällen eine frühzeitige operative Beseitigung der mechanischen Kompression der Nervenwurzel sinnvoll.

Zervikale Spinalkanalstenose

Bei der zervikalen Spinalkanalstenose kommt es zu einer knöchern-ligamentär bedingten Verminderung des Spinalkanal-Durchmessers. Als Folge der Spinalkanalstenose kann das Rückenmark geschädigt werden. 

Das charakteristische frühe Erscheinungsbild dieser Rückenmarksschädigung (bzw. der zervikalen Myelopathie) sind Missempfindungen und eine Ungeschicklichkeit der Hände sowie eine Gangunsicherheit. Die Symptome treten anfangs schleichend auf.

Ähnlich der lumbalen Spinalkanalstenose kommt es bei der Mehrzahl der Patienten mit einer zervikalen Spinalkanalstenose im Laufe der Zeit zu einer Verschlechterung der Symptomatik. Eine länger bestehende oder sich im fortgeschrittenen Stadium befinde zervikale Myelopathie ist meist nicht mehr reversibel. Eine klinische Verschlechterung kann rasch auftreten.

Da sich eine milde zervikale Myelopathie rasch verschlechtern kann, wird in solchen Fällen eine frühzeitige Operation empfohlen.

Postoperative Therapie

Für ein langfristig erfolgreiches Behandlungsergebnis spielt die Nachbehandlung von an der Wirbelsäule operierten Patienten eine wichtige Rolle. 

Ein wesentliches Ziel der Nachbehandlung besteht darin durch spezielle Übungen die Hals- und Rumpfmuskulatur, v.a. die Tiefenstabilisatoren, zu stärken und deren Koordination zu verbessern. Dies führt zur Stärkung des Muskelkorsetts und zu einer verbesserten Funktion des Bewegungsapparates. Ein „starker Rücken“ ist Voraussetzung für Schmerz- und Bewegungsfreiheit.

Der Aufbau dieses „starken Rückens“ erfordert vom Patienten eine hohe Motivation sowie die konsequente Durchführung der erlernten Übungen über einen langen Zeitraum.

Leben ist Bewegung und Bewegung ist Leben!