Ismaning,
17
August
2023
|
17:00
Europe/Amsterdam

Behandlung aus der Ferne: Warum Telemedizin immer wichtiger wird

Zusammenfassung

Der flächendeckende Einsatz von Telemedizin wird die Qualität der Gesundheitsversorgung neu definieren. Welche Chancen sich eröffnen, zeigen sechs Sana-Autoren am Beispiel des Sana Telemedizinzentrums für Herzinsuffizienz.

Die Corona-Pandemie hat die Telemedizin stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. In Zeiten der Pandemie war ein direkter Kontakt in Krankenhäusern und Arztpraxen aufgrund spezieller Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen erschwert. Gerade bei chronischen Krankheiten wurden deshalb verstärkt telemedizinische Diagnostik, Therapie und Rehabilitation via Internet und Smartphone eingesetzt und akzeptiert.

Der flächendeckende Einsatz von Telemedizin wird die Qualität der Gesundheitsversorgung neu definieren und vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen sichern. Lange Anfahrtswege und Wartezeiten fallen weg, Daten und Informationen werden durch telemedizinische Anwendungen schneller ausgetauscht. Spezialwissen der an der Versorgung Beteiligten kann untereinander geteilt werden, um so eine bessere und effektivere Behandlung zu ermöglichen. Besonders bei komplexen Krankheitsbildern ist dieser Austausch wichtig, oft sind die Diagnosen verschiedener Fachärzte nötig, um Patienten individuelle Versorgung zu bieten, unabhängig vom Standort. 

Die Anwendungen der Telemedizin sind vielfältig und schon heute in vielen Bereichen der ärztlichen Behandlung und Pflege möglich

Telepathologie: Interpretation und Befundung von fernübertragenen digitalisierten histologischen Schnitten oder Gewebeproben
Smart Homecare: Fernüberwachung und -diagnose über digitale Verbindungen in ein Telemonitoringzentrum zur Gesundheitsversorgung in der Fläche
Besonders chronischen Patienten bietet die Telemedizin viele Chancen.

Im September 2022 wurde das erste Telemonitoringzentrum (TMZ) für Herzinsuffizienz der Sana Kliniken AG am Sana Gesundheitszentrum Berlin-Brandenburg eröffnet. Um herauszufinden, welche Möglichkeiten Telemedizin chronisch kranken Patienten bieten kann, wurden folgende Indikatoren definiert und Hypothesen zu deren Beeinflussung durch die Telemedizin aufgestellt: 

Senkung kritischer Messwerte, z. B. systolischer/diastolischer Blutdruck
Reduktion der Mortalität 
Verringerung der Zahl der Krankenhausaufenthalte 
Einsparung von Behandlungskosten 
Erhöhung der Patientencompliance, z. B. bei der Arzneimitteladhärenz 
Hohe Patientenakzeptanz 
Niederschwellige und ortsunabhängige Erreichbarkeit der Versorgung. 

Anschließend wurden diese Indikatoren mit empirischen Erfahrungen aus dem Sana TMZ verglichen. 

An der Versorgung sind neben dem Patienten der primär behandelnde Arzt und das Sana TMZ beteiligt. Die Daten werden in einer Patienten-Management-Plattform erfasst, überwacht und für die Behandlung genutzt. Diese Plattform ist nach den Regeln der europäischen Medizinprodukte-Verordnung zertifiziert und von der Kassenärztlichen Vereinigung zugelassen. Die Kriterien für eine Teilnahme der Patienten sind in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgegeben. Es handelt sich um Patienten, die entweder ein Implantat tragen oder innerhalb des letzten Jahres wegen dekompensierter Herzinsuffizienz stationär behandelt wurden. Bei letzterer sind alle Fähigkeiten des Körpers, die Herzschwäche auszugleichen, erschöpft. Die Leistung des Herzens reicht nicht mehr aus, um genügend Blut aufzunehmen und in den Körper zu pumpen. Ein weiteres Kriterium für die Teilnahme ist eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion von kleiner 40 Prozent. Sie beschreibt, wie viel Blut die linke Herzkammer bei einem Herzschlag verlässt, bei diesem Kriterium also weniger als 40 Prozent. 

Der Patient erhält neben dem Implantat verschiedene Geräte und Sensoren sowie ein Tablet zur Erfassung der Daten. Er kann somit eigenständig tägliche Messungen durchführen, die über einen LTE-Hub an die Plattform übertragen werden. So werden unter anderem Blutdruck, EKG, Gewicht und das allgemeine Befinden erhoben. Bei definierten Abweichungen der Messwerte von der Norm wird im Sana TMZ eine Warnmeldung ausgelöst. Diese Meldung muss innerhalb von 24 Stunden gesichtet werden. Unter der Woche wird der behandelnde Arzt informiert, am Wochenende oder bei Nichterreichbarkeit des Arztes nimmt das Sana TMZ direkt Kontakt zum Patienten auf. 

Wichtig ist in der grundsätzlichen Rollenaufteilung zwischen dem behandelnden Arzt und dem Sana TMZ, dass der Arzt für die leitliniengerechte Versorgung verantwortlich ist und für die aus dem Telemonitoring resultierenden Maßnahmen. Das TMZ ist primär als Dienstleister des Arztes für das Telemonitoring zu verstehen und nur sekundär, zum Beispiel bei Nichterreichbarkeit oder Abwesenheit des Arztes, in die Behandlung eingebunden. Das Zentrum muss jedoch hohe inhaltliche Anforderungen erfüllen und nachweisen, entsprechend der Qualitätssicherungsvereinbarungen zu Rhythmusimplantat-Kontrollen und zum Telemonitoring bei Herzinsuffizienz. 

Der Nutzen von Telemedizin konnte bei vielen weiteren chronischen Erkrankungen außerhalb der Herzmedizin bestätigt werden, unter anderem für Diabetes, rheumatoide Arthritis und chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Interessant sind die Verbesserungen durch digitale Medizin bei der Einhaltung des Medikationsschemas, wie die Dosis des Arzneimittels oder die Behandlungsdauer. Gerade bei chronischen Erkrankungen gibt es in der Versorgungsrealität chronischer Erkrankungen bei der Einhaltung oft große Probleme 

Besonders durch die Vermeidung stationärer Aufenthalte können telemedizinische Verfahren im Vergleich zur isolierten konventionellen Therapie Kosten einsparen. Für Telemonitoring-Patienten bei Herzinsuffizienz konnten Kosteneffekte im Umfang von zehn Prozent pro Patientenjahr in Deutschland nachgewiesen werden, 35 Prozent in Dänemark und bis zu 66 Prozent in Italien. 

Die hohe Akzeptanz der Telemedizin bei Patienten konnte für verschiedene chronische Krankheitsbilder nachgewiesen werden, beispielsweise bei Herzinsuffizienz, COPD oder Schmerz. Aus Patientensicht stehen dabei neben der Teilhabe die vereinfachte Erreichbarkeit der Versorgung und die Sicherheit einer Überwachung im Vordergrund, beispielsweise bei Krebspatienten. 

Für die Versorgungspfade chronisch kranker Patienten, die häufig hospitalisiert werden und einen hohen Medikamentenverbrauch haben, sind Telemonitoringansätze kombiniert mit Telekonsultationen ideal. Sie können über ein TMZ realisiert werden. Aufgrund der sehr guten Studiendaten zur Verbesserung des Outcomes und zur Reduktion der Kosten wurde in Deutschland ein Rechts- und Finanzierungsrahmen für das Monitoring der Herzinsuffizienz geschaffen, der seit 1. April 2022 gilt. 

Für das Sana TMZ, eines der ersten in Deutschland, waren die wichtigsten Meilensteine: 

die Suche nach dem TMZ-Arzt und der Pflegefachkraft für Herzinsuffizienz 
die Auswahl eines technischen Dienstleisters 
die Realisierung der IT-Schnittstellen 
die Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Berlin 
die Zusammenstellung der Informationsmaterialien und 
die Ansprache der primär behandelnden Ärzte und der Patienten. 

Diese Maßnahmen deckten gleichzeitig die wichtigsten bekannten Erfolgsfaktoren einer Implementierung von telemedizinischen Lösungen bei chronischen Erkrankungen ab. Aufgrund der kurzen Betriebszeit war keine Beurteilung der Patientendaten im Verlauf möglich. Erste Patienten- und Mitarbeiterrückmeldungen sind ausgesprochen positiv. Der Business Case geht von moderat positiven Betriebsergebnissen in der Zukunft aus. 

Die Recherche und die Erfahrungen im Sana TMZ zur Herzinsuffizienz ergeben große Chancen für die Versorgung weiterer chronischer Krankheiten durch Telemedizin, beispielsweise für die Versorgung von Diabetes und COPD. Jedoch müssen für eine erfolgreiche regulatorische Umsetzung der Nutzen und die Kosten intensiver evaluiert und nachgewiesen werden, da die Datenbasis noch sehr heterogen ist. Ebenso sollten die Daten aus den Telemonitoring-Zentren für Herzinsuffizienz noch gesundheitsökonomisch evaluiert werden, bevor das Modell für andere Krankheiten angewandt wird. 

Hierfür bleibt nicht mehr viel Zeit. Der Handlungsdruck auf die Versorgung weiterer chronischer Krankheiten durch Telemedizin steigt aufgrund von drei wesentlichen Faktoren: Zum einen wird der demographische Wandel zu einer deutlichen Zunahme chronischer Erkrankungen führen. Der steigenden Behandlungslast steht zum zweiten der Mangel an Fachkräften gegenüber. In Brandenburg sind mit einer Ausnahme alle 46 Mittelbereiche der Kassenärztlichen Vereinigung für Zulassungen von Hausärzten offen, aber es fehlen Hausärzte. Der dritte Faktor ist der technologische Wandel mit den disruptiven Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz in Richtung datenbasierter, personalisierter Präzisionsmedizin. Nur durch ihn wird die steigende Behandlungslast bei gleichzeitigem Fachkräftemangel bewältigt werden können. 

Die Telemedizin birgt große Vorteile: eine bessere Versorgung in strukturschwachen Regionen, eine engmaschige Rund-um-die Uhr-Versorgung von gefährdeten Patientengruppen, eine inter- und intrasektorale Vernetzung und eine auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Versorgung mithilfe von KI gestützten Daten. Risikofaktoren können schneller erkannt, die Forschung kann verbessert werden. Zudem eröffnet die Telemedizin neue Geschäftsfelder für Leistungserbringer. Sie wird in Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle spielen: Telemedizinzentren werden schon bald wichtige Versorgungsanker für chronisch Erkrankte werden und Versorgungslücken in strukturschwachen Regionen der Flächenländer schließen. 

Dieser Gastbeitrag ist zuerst im Magazin f&w - führen und wirtschaften im Krankenhaus im August 2023 erschienen. Die Autoren sind: 

  • Bernd Christoph Meisheit, Geschäftsführer Sana change it! GmbH
  • Dr. Gebhard von Cossel, Bereichsleiter Unternehmensstrategie Medizin der Sana Kliniken AG 
  • Dirk Jaeckel, Senior Expert Digitale Transformation,  Sana change it! GmbH 
  • Dr. Christian von Klitzing, Regionalgeschäftsführer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern der Sana Kliniken AG 
  • Maximilian Moser, Expert Virtual Hospital, Sana change it! GmbH 
  • Dr. Felix Rehder, Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor der Sana Gesundheitszentren Berlin-Brandenburg GmbH