Ismaning,
08
Februar
2024
|
10:01
Europe/Amsterdam

Plattformlösung: Hinter dem Horizont

Zusammenfassung

Gastbeitrag im Fachmagazin f&w von Stefanie Kemp und Sascha Simon: Angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt und im KIS-Markt bauen die Sana Kliniken ein neues intersektorales Managementsystem (SIMS) auf, um ambulante und stationäre Versorgungsbereiche mehr miteinander zu verzahnen. Es ist das bisher größte Projekt bei Sana. Die Pilotierung soll in drei der über 40 Krankenhäuser erfolgen, der konzernweite Rollout voraussichtlich ab 2025.

Stefanie Kemp

Bereits in wenigen Jahren wird sich das heutige Gesundheitssystem wandeln. Die Demografie schlägt zu und das  Personal wird fehlen, um das heutige Niveau aufrechtzuerhalten. Ärzte werden zu zehntausenden und das Pflegepersonal mit über einhunderttausend Menschen bis zum Ende des Jahrzehnts in den Ruhestand treten. Der Nachwuchs wird das nicht ausgleichen können – auch nicht bei forcierter Zuwanderung. Gleichzeitig werden die finanziellen Mittel eher knapper. Zwar hat Deutschland im internationalen Vergleich ein gutes Versorgungsniveau, aber zu hohe Kosten, wie die jährlichen Untersuchungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) immer wieder ausweisen. 

 

Einerseits wird die Gesundheitsversorgung relativ teuer produziert, andererseits fällt Deutschland mit einem im internationalen Vergleich geringen Digitalisierungsgrad auf. Würden diese Potenziale gehoben, könnte mit deutlich weniger Personal bei gestiegener Qualität die Versorgung gesichert werden. Dabei wurden in der jüngeren Vergangenheit vor allem die elektronische Patientenakte oder das Gesundheitsdatennutzungsgesetz thematisiert. Das sind wichtige Themen, aber ohne das digitale Kernelement jedes Krankenhauses bleibt es Stückwerk. Das Krankenhausinformationssystem (KIS) rückt deshalb in den Fokus. 

Neues IT-Herzstück 

Wenn ein neues Patientendatenmanagementsystem (PDMS), eine digitale Terminvereinbarung oder ein digitales Entlassmanagement eingeführt werden, müssen sie an die IT-Landschaft angeschlossen werden, um Wirksamkeit entfalten zu können. Insofern ist die Frage nach der richtigen KIS-Strategie zentral für die Digitalisierung der Krankenhäuser – und auch darüber hinaus. So, wie Digitalisierung einer der großen Trends ist, ist es auch die intersektorale Versorgung, also die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Sana versteht sich als integrierter Gesundheitsdienstleister, der eine intersektorale Strategie verfolgt, also ambulant und stationär zusammendenkt. 

Dies alles antizipierend hat sich Sana zum Ziel gesetzt, ein Sana intersektorales Managementsystem – SIMS – zu schaffen – als zentrale Plattform. Sie sollte folgenden Kriterien entsprechen: 

  • nicht die Technik steht im Mittelpunkt, sondern die Menschen und ihre Ansprüche – die von Patienten  sowie von Beschäftigten 
  • zukunftsfähige State-of-the-Art-Software ohne Altlasten 
  • Plattform-Architektur n Überwindung der Sektorengrenzen und Unterstützung einer gelungenen Patientenreise (Patient Journey) 
  • Cloud-Readiness 
  • Micro-Services-Architektur 
  • Skalierbarkeit und Usability 

Genetisches Alphaprodukt 

Im Ergebnis dient der Ansatz der Aufnahme von Geschwindigkeit, Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft. Der Software-Markt im deutschsprachigen Raum hält nach die Expertise zurzeit kein Produkt bereit, das diese Anforderungen abbildet. Sana pilotiert deshalb ein genetisches Alphaprodukt – also kein Produkt von der Stange, sondern eine Entwicklung speziell entlang der vorgenannten Kriterien. Angefangen wird nicht bei Null, es wird keine Software neu entwickelt. Basierend auf einer Plattform wird schrittweise ein eigenes intersektorales Managementsystem aufgebaut. 

 

Simon, Sascha

In einem ersten Schritt dockt diese Plattform an die bestehende Lösung für Patientenadministration und -abrechnung SAP IS-H an, über das zunächst die Abrechnungen weiterhin erfolgen. Gleichzeitig kann die Plattform aber auch schon Prozesse automatisiert und KI-unterstützt abbilden. Orientierung geben die von den Praktikern gewünschten Prozesse, um die Software entsprechend zu konfigurieren. Das besondere Augenmerk bei der Unterstützung von Arbeitsweisen liegt auf der medizinischen -und pflegerischen Dokumentation. 

Insbesondere gilt es, bürokratische Zwänge und zusätzliche Aufwände – etwa für die Codierung zur Abrechnung – automatisiert ohne zusätzliche Ressourcenbindung zu realisieren. Die Plattform 
wird in weiteren Schritten um eigene Module für Patientenadministration und -abrechnungen sowie für den ambulanten Sektor erweitert. Drei der über 40 Sana-Krankenhäuser sind als Piloten ausgewählt. 80 Prozent der insgesamt bei Sana anfallenden Prozesse werden dort abgebildet. Die technischen Voraussetzungen sind grundsätzlich geschaffen. Und das Wichtigste: Mit allen Beteiligten wurden crossfunktional umfangreiche Gespräche geführt, wie sinnvolle Prozesse die Arbeit erleichtern könnten. Im ersten Quartal dieses Jahres werden diese Prozesse nun auf der Plattform abgebildet und justiert. Es folgen Schulungen und Trainings, die mit umfassenden Online- Formaten und intelligenten Hilfefunktionen mittels Digital Adoption Plattform zusätzlich unterstützt werden. Im zweiten Quartal ist für diesen Proof of Concept der Go-Live geplant: Das neue System wird sich in der Praxis beweisen müssen. Mit einer hohen Lernkurve in Betrieb und Support wird gerechnet. 

Nach erfolgreicher Pilotierung folgt dann (spätestens) 2025 der Rollout für die weiteren 40 Sana-Krankenhäuser – das größte Projekt in der fast fünfzigjährigen Geschichte von Sana. Umfassende Transformation Dabei wird nicht nur ein KIS ersetzt: Derzeit hat der Konzern mehrere Systeme mit unterschiedlichen Release-Ständen im Einsatz. Diese haben auch dazu geführt, dass sich Prozesse konzernweit deutlich unterscheiden. Diese gilt es, nun auch zu vereinheitlichen – stets unter der Maßgabe, dass Patienten und Beschäftigte im Mittelpunkt stehen. Deshalb geht es nicht nur um den Austausch von Technik, sondern um eine umfassendere Transformation, die viele Arbeitsprozesse tangieren wird. Das wird mehrere Jahre dauern und mit Investitionen 
im kleineren bis mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Volumen verbunden sein. 

Den Investitionen stehen eine Reihe erwarteter Effekte gegenüber: medizinische, pflegerische, personalpolitische und wirtschaftliche. Ärzte sind nicht Arzt geworden, um administrativ-bürokratisch tätig zu sein, wie es jetzt zu gut einem Drittel der Arbeitszeit der Fall ist. Gleiches gilt für das Pflegepersonal. Ziel ist, zu entlasten und damit Freiraum für Patienten zu schaffen sowie die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu stärken, also den Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen – sei es als Patient oder Mitarbeitender. Ein durchaus gewünschter Nebeneffekt 
wird sein, auf dem zunehmend enger werdenden Arbeitsmarkt als attraktiv wahrgenommen zu werden. 

Die Überzeugung ist, dass die Datenqualität steigen wird. Damit stehen dem medizinischen und pflegerischen Personal bessere Informationen schneller zur Verfügung, so dass auch die Versorgung der Patientinnen und Patienten qualitativ gesteigert werden kann. Und auch die Steuerung eines Krankenhauses wird durch das Vorhandensein zeitnaher Daten verbessert – sei es bei Personaleinsatz, Belegung, medizinischer Qualität wie auch Wirtschaftlichkeit. 

Letztlich ist es auch wirtschaftlicher, viele Prozesse zu standardisieren und eine homogenere IT-Landschaft zu administrieren. Sana verspricht sich eine höhere Geschwindigkeit, neue Prozesse und Produkte zu implementieren. Denn viele medizinische Produkte sind heute auch IT-Produkte. In diesem Sinne ist es ein wirtschaftlicher und medizinischer Vorteil, schneller auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können. 

Neuland betreten 

Mit Blick auf andere Branchen wird nachgeholt, was weite Teile der Industrie bereits in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten realisiert haben. Gleichwohl bedeutet die Strategie in der deutschen Gesundheitsbranche Neuland. 

Somit verlangt dieser Schritt auch Mut, eingetretene Pfade zu verlassen und Risiken einzugehen. Das Risiko eines  „Weiter-so“ wird allerdings als höher erachtet. Es ist aktuell ein schwieriges Fahrwasser und die gesamte Branche steht (wirtschaftlich) vor nie gekannten Herausforderungen.