Ismaning,
08
März
2024
|
08:00
Europe/Amsterdam

Wir sind am Vorabend einer Revolution im Gesundheitswesen

Gastbeitrag von Sana-Vorstaändin Stefanie Kemp im Fachmagazin f&w

Zusammenfassung

Sana-Vorständin Stefanie Kemp stellt zehn Thesen auf, wie Technologie den Alltag im Gesundheitswesen für Patienten und Beschäftigte bis 2030 ändern wird.   

Am Ende des Jahrzehnts werden uns zehntausende, wenn nicht gar über einhunderttausend Beschäftigte in Arztpraxen, auf Stationen und in OPs fehlen. Gleichzeitig wächst der ökonomische Druck auf alle Versorger im Gesundheitswesen. Auf der anderen Seite haben wir auch die Möglichkeit, aus weniger mehr zu machen, weil wir einen massiven Vormarsch neuer technischer Möglichkeiten in Diagnose und Therapie, bei Operationen, in der Pflege und der Logistik erleben.

Wir stehen am Vorabend einer Revolution in der Versorgung von Patienten, der Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte und der Integration von Technik in die medizinische Praxis. Wir werden vielfältige Innovationen sehen, die die Effizienz steigern, die Patientenerfahrung verbessern und für Pflegekräfte die Arbeit erleichtern. Bei aller Alltagstristesse des Jahres 2024 mit bürokratischer Überforderung, ökonomischem Druck, Personalmangel und veralteter Infrastruktur: Es ist Zeit für einen visionären Blick auf die vielversprechenden Entwicklungen in zehn Bereichen, die das Gesundheitswesen in Deutschland bis 2030 und darüber hinaus prägen werden.

1. Individualisierte Patientenversorgung

Während Corona ist es dank wissenschaftlicher Expertise, dank Rechenleistung und Künstlicher Intelligenz gelungen, in nie zuvor erlebter Geschwindigkeit neue Wirkstoffe zu entwickeln. Diese Technologien stehen für einen großen Trend: die personalisierte Medizin. Möglich wird das durch den Einsatz fortschrittlicher Diagnosetechnik, Genomsequenzierung und Big-Data-Analysen. Ärztinnen und Ärzte werden damit in die Lage versetzt, noch viel stärker als heute auf die individuellen Bedürfnisse eines jeden Patienten zugeschnittene Behandlungen zu entwickeln.

2. Digitale Gesundheitsplattformen

Heute liegen die Patientendaten in diversen Hängeregistern und Personal Computern von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern. Der Patient hat keinen Überblick, geschweige denn eine Autonomie über seine Daten. Das wird sich bis zum Ende des Jahrzehnts dramatisch ändern. Digitale Gesundheitsplattformen werden einen zentralen Platz in der Patientenversorgung einnehmen. Telemedizinische Konsultationen können zum Alltag werden, Patient, Arzt und Pflegekraft können gemeinsam an den Gesundheitszielen arbeiten. Dies schafft nicht nur die Patientenautonomie, es wird auch Prävention enorm erleichtern. 

 

Kemp-Visual

3. Pflegekräfte und ihre digitalen Helfer

Die Pflege steht vor einer tiefgreifenden Transformation. Viele Tätigkeiten im adminstrativ-bürokratischen Bereich und in der Logistik können durch Sensorik, Künstliche Intelligenz, assistierende Technologien und Robotik ersetzt werden. Viele repetitive Aufgaben könnten entfallen bzw. substituiert werden. Pflege könnte sich wieder auf den Kern der Tätigkeit, auf anspruchsvollere und menschenbezogene Aspekte der Arbeit konzentrieren, was zu einer verbesserten Patientenversorgung führt.

4. Telemedizin und virtuelle Dienste

Durch Corona erlebte sie schon mal einen Aufschwung, ebbt gerade wieder ab, aber Telemedizin wird bis 2030 normal werden – gerade in Regionen, in denen die Versorgung nicht engmaschig ist. Dann kommt der Arzt zur virtuellen Visite ins Haus. Fernüberwachung wesentlicher Parameter ermöglicht eine hochwertige und lückenlose Versorgung. Die elektronische Patientenakte schafft eine nahtlose und effiziente Kommunikation zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal. Damit werden Gesundheitsdienste für die Patienten leichter erreichbar. Gleichzeitig wird auch die Belastung von Kliniken und Arztpraxen und dem Personal reduziert.

5. Präventiv statt reaktiv

In einer Zeit, in der (Fach-) Kräfte gesucht sind, wird es umso wichtiger, in die Gesundheit des Stammpersonals zu investieren. Das geschieht bereits und wird zunehmen. Dazu zählen Check-ups in Firmen, vergünstigte Angebote für Fitness und vieles mehr. Auch im privaten Bereich zählt gesundes Leben zu einem der Megatrends. Dabei werden über Sensoren in Wearables mehr und mehr Gesundheitsdaten erhoben und in Apps gespeichert sowie analysiert. Sie dienen oftmals der Selbstoptimierung, stellen daneben einen wichtigen Datenpool für präventive Maßnahmen dar. Das kontinuierliche Tracking wichtiger Gesundheitsparameter ermöglicht frühzeitige Interventionen. Das Gesundheitssystem wird darauf ausgerichtet sein, Prävention zu fördern.

6. Intersektorale Zusammenarbeit

Alles, was sich ambulantisieren lässt, wird eher früher denn später ambulantisiert. Die Ökonomie und der medizinische Fortschritt werden diesen Trend befördern – und die Technologie tut es auch, wenn eine Beobachtung der Vitalparameter dank Sensorik und Telemedizin auch dann erfolgen kann, wenn der Patient zuhause ist. Das Zusammenspiel von ambulant und stationär wird dabei noch viel mehr als heute relevant werden. Bis 2030 werden die verschiedenen Sektoren viel stärker interagieren - einschließlich Gesundheitswesen, Forschung, Technologie und Wirtschaft. Der intersektorale Ansatz fördert zugleich eine umfassende Gesundheitsversorgung. 

 

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7. KI in Diagnose und Forschung

Die Künstliche Intelligenz fördert nicht nur eine individualisierte Patientenversorgung, sondern wird (nahezu) alle Bereiche des Gesundheitswesens erfassen. KI wird die Genauigkeit von Diagnosen beschleunigen und dabei helfen, besser zu werden. Zudem werden Forschungsprozesse erheblich verkürzt und qualifiziert. Gleichzeitig wird die Forschung enorm beschleunigt. Wir stehen vor vielen bahnbrechenden Entdeckungen in der medizinischen Forschung.

8. Aufstieg der Robotik

Robotik wird die Pflege transformieren, indem viele repetitive Aufgaben übernommen werden. Roboter können auch logistische Aufgaben übernehmen, wie etwa die Bettenversorgung, in der Raumpflege, bei Service- oder Transportaufgaben. Darüber hinaus können sie auch bei der Rehabilitation und Unterstützung von Patienten eine entscheidende Rolle spielen. Und: Bei physisch anspruchsvollen Tätigkeiten können Roboter die Pflegekräfte entlasten und gleichzeitig die soziale Interaktion mit den Patienten fördern.

9. Ethik und Datenschutz im Fokus

Die neuen technischen Möglichkeiten, werfen neue ethische Fragen auf: Welchen Einfluss von KI gestatten wir bei Entscheidungen? Welchen Bias wird KI haben, wie erkennen wir diesen und gehen damit um? Und wie gehen wir mit den Ergebnissen viel früher einsetzender Diagnostik um? Wie gewährleisten wir auch künftig einen allgemeinen Zugang zu medizinischen Spitzenleistungen? Daneben stellen sich neue Anforderungen an das Thema Sicherheit beim Umgang mit den sich vervielfachenden Datenmengen. Wer hat welche Rechte an den Daten, welchen Zugriff und welche Verwendungsmöglichkeiten? Was geschieht mit jenen, die ihre Gesundheitsdaten nicht preisgeben wollen? Und vor allem: Wie kann einerseits die Verfügbarkeit und gleichzeitig die Sicherheit der Daten gewährleistet werden. Bis 2030 wird es notwendig sein, hier klare Gesetze und Richtlinien zu entwickeln. Dabei muss die Integrität der Patientendaten geschützt und ethische Standards eingehalten werden.

10. Bildung und Schulung 

Auch heute schon ist kontinuierliche Fortbildung in Medizin und Pflege eine wichtige Aufgabe. Bei der Fülle an Entwicklungen kommen die bisherigen Konzepte jedoch an ihre Grenzen. Deshalb werden Programme zur Fortbildung sich an neue Techniken anpassen müssen. Es wird kontext- und praxisbezogener, auch intuitiver werden müssen. Und für diese Fortbildungen müssen auch die Freiräume im Arbeitsalltag geschaffen werden. Es muss sichergestellt sein, dass Fachkräfte mit neuesten Entwicklungen Schritt halten können.

Neue Ära der Gesundheitsversorgung

Bis zum Ende des Jahrzehnts sind es nur noch wenige Jahre. Bis dahin wird sich das deutsche Gesundheitssystem massiv verändert haben. Dabei sollte stets ein Ziel im Blick sein: Der Mensch steht im Mittelpunkt – ob als Patient oder Beschäftigter. Nur dann kann es gelingen, innovative Technik zu nutzen, um Pflege und Medizin in eine neue Ära in der Gesundheitsversorgung zu transformieren. Die Zukunft wird von einer zunehmend personalisierten, präventiven und digital unterstützten Medizin und Pflege geprägt sein.

Der Beitrag erschien zuerst im Fachmagazin “f&w Führen und Wirtschaften im Krankenhaus”