Darmspiegelung

Oftmals vernachlässigt

Darmkrebs-Früherkennung

Jährlich erkranken in Deutschland rund 33.000 Männer und 27.000 Frauen an Darmkrebs – etwa die Hälfte der Erkrankten stirbt daran. Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, an Darmkrebs zu sterben, zehn Mal höher ist, als im Straßenverkehr ums Leben zu kommen. Das müsste nicht sein, denn mit einer rechtzeitigen Früherkennung könnten, so die Einschätzung von Experten, rund 90 Prozent aller Darmkrebserkrankungen vermieden werden. Welche Möglichkeiten es gibt, erläutert Prof. Dr. Christian von Tirpitz, Chefarzt des Fachbereichs Gastroenterologie in der Medizinischen Klinik des Biberacher Sana Klinikums.  

Herr Prof. von Tirpitz, vorab, wie entsteht eigentlich Darmkrebs?

In den überwiegenden Fällen entwickelt sich Darmkrebs aus Darmpolypen (Adenomen), das heißt aus zunächst gutartigen Wucherungen der Darmwand. Ursache dafür sind aufeinander folgende Genveränderungen an den Schleimhautzellen der Darmwand, welche schließlich zum Verlust der natürlichen Wachstumskontrolle der Zellen führen. Bei circa 5 bis 10 Prozent aller Erkrankten liegt bereits bei Geburt eine Veränderung des Erbgutes vor, welche mit einem besonders häufigen Auftreten von Darmkrebs und einem früheren Krankheitsbeginn einhergeht.

Das Alter und die Gene – gibt es weitere Risikofaktoren?

Zunächst - Darmpolypen und Darmkrebs können in jedem Alter entstehen. Jedoch steigt ab dem 40. Lebensjahr das Risiko zur Entstehung von Darmpolypen deutlich an; ab 50 Jahren erhöht sich das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, in der Folge exponentiell. Menschen mit familiärer Vorbelastung haben dabei ein deutlich höheres individuelles Darmkrebsrisiko, auch sind Männer etwas häufiger betroffen. Daneben stellen bestimmte Lebensstil- und Umweltfaktoren, wie Übergewicht, Rauchen, hoher Alkoholkonsum und Bewegungsmangel, Risikofaktoren dar. Auch die Ernährung, beispielsweise ein hoher Fleischkonsum, spielt eine Rolle. Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen weisen darüber hinaus ein deutlich erhöhtes Risiko auf und müssen, in Abhängigkeit von weiteren Faktoren, ab einer gewissen Krankheitsdauer regelmäßig untersucht werden.

Warum ist eine Vorsorge so wichtig?

Hier mache ich immer gerne den Vergleich mit dem Sicherheitsgurt im Auto. Nach Einführung der Anschnallpflicht 1976 hat sich die Anzahl der Verkehrstoten von 20.000 auf circa 3.000 reduziert. Heute steigt kein Fahrer mehr in sein Auto, ohne sich den Sicherheitsgurt anzulegen. Diese Selbstverständlichkeit fehlt leider im Hinblick auf Darmkrebs. Ein Grund ist sicherlich die weit verbreitete, jedoch völlig unbegründete Angst vor der Untersuchung. Viele Menschen glauben zudem, dass sie gesund sind, nur weil sie keine Beschwerden haben. Dabei spürt man nicht, dass man Polypen hat. Und auch, wenn sich diese bereits zum Darmkrebs entwickelt haben, merkt man das in der Regel erst im fortgeschrittenen Stadium, beispielsweise in Form einer Darmblutung oder eines Darmverschlusses. In diesem Stadium ist eine Heilung jedoch oft nicht mehr möglich.

Welche Möglichkeiten zur Früherkennung gibt es?

In Deutschland gehören zwei Untersuchungen zum gesetzlichen Früherkennungsprogramm. Nicht sichtbare Blutmengen im Darm können zum einen mittels eines immunologischen Stuhltests nachgewiesen werden. Dieser gibt allerdings nur Rückschlüsse auf blutende Darmveränderungen. Die sicherste und zuverlässigste Methode, um Darmpolypen frühzeitig zu erkennen oder einen positiven Stuhltest abzuklären, ist daher die Darmspiegelung (Koloskopie).

Was passiert bei einer Darmspiegelung?

Zunächst einmal möchte ich allen die Angst vor der Durchführung nehmen. Die meisten Menschen lassen sich vorab eine Spritze geben, in Folge dessen sie „schlafen“ und nichts spüren. Auch die vorherige Entleerung des Dickdarms ist heute angenehmer, da die Menge der Spüllösung mit 1 bis 2 Litern deutlich geringer ist als in früheren Jahren. Für die Untersuchung selbst wird ein dünner, circa 1,5 Meter langer Schlauch verwendet, an dessen Ende sich eine kleine Kamera befindet. So lässt sich der gesamte Dickdarm vom After bis zum Blinddarm gut untersuchen. Das Ganze dauert nicht länger als 20 bis 30 Minuten und bietet direkte Gewissheit. Eventuelle Veränderungen können dabei direkt entfernt werden.

Welche Leistungen werden von der Krankenkasse übernommen?

Die Kosten für eine Koloskopie werden bei Männern ab dem 50., bei Frauen ab dem 55. Lebensjahr übernommen. Dabei haben Versicherte Anspruch auf wenigstens zwei Darmspiegelungen. Die zweite Untersuchung liegt dabei zehn Jahre nach der ersten, wenn bei der ersten Untersuchung nichts Auffälliges festgestellt wurde. Ab 50 Jahren haben Männer und Frauen darüber hinaus jährlich Anspruch auf den sogenannten immunologischen Stuhltest, ab 55 Jahren alle zwei Jahre. Für Menschen mit einer familiären Vorbelastung, d.h. einem Verwandten ersten Grades (Eltern, Geschwister) mit Darmkrebs, sollte die Vorsorge jedoch deutlich früher beginnen. Als Faustregel kann man sagen, dass die erste Untersuchung 10 Jahre vor dem Alter stattfinden sollte, in dem das Familienmitglied an Darmkrebs erkrankt ist. Spätestens jedoch im Alter von 40 bis 45 Jahren.

Kontakt

Prof. Dr. med. Christian von Tirpitz

Prof. Dr. Christian von Tirpitz

Chefarzt des Fachbereichs Gastroenterologie, Medizinische Klinik, Sana Klinikum Biberach

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