Ismaning,
04
März
2024
|
07:48
Europe/Amsterdam

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Adipositas ist eine Krankheit und keine Wahl: Betroffene werden zu Unrecht ausgegrenzt

Sind stark übergewichtige beziehungsweise mehrgewichtige Menschen nicht schlicht und ergreifend selbst schuld an ihrer gesundheitlichen Situation? Patienten mit krankhafter Adipositas wird oftmals fehlende Willensschwäche oder gar Faulheit vorgeworfen. Völlig zu Unrecht, denn die krankhafte Adipositas ist eine chronisch entzündliche Stoffwechselerkrankung. Das ist seit vielen Jahren bekannt. Trotzdem halten sich die Vorurteile hartnäckig. Betroffene werden angegriffen, stigmatisiert und dadurch häufig ausgegrenzt.

Chirurgische Eingriffe bei Patienten mit krankhafter Adipositas werden in der Medizin auch als metabolisch-bariatrische Operationen bezeichnet. Zu den etablierten Standardverfahren gemäß der geltenden Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF zur Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen gehören der Schlauchmagen und der Magenbypass. Bevor ein solcher Eingriff infrage kommt, müssen die Patienten laut der Leitlinie zunächst ein konservatives, das heißt nicht-operatives, Programm mit mehreren Maßnahmen durchlaufen. Dieses Programm dauert ein halbes Jahr und umfasst Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie eine psychologisch/psychiatrische Stellungnahme.

Body Mass Index (BMI)Klassifikation
18,5 bis 24,9Normalgewicht
25 bis 29,9Übergewicht
30 bis 34,9Adipositas Grad I
35 bis 39,9Adipositas Grad II
> 40Adipositas Grad III (krankhafte Adipositas)

Kommt es durch den konservativen Ansatz zu einer anhaltenden Gewichtsreduktion wird dieses Therapieregime fortgesetzt. Erst bei Erschöpfung der konservativen Therapie und nach umfassender Aufklärung ist eine adipositaschirurgische Operation der richtige Weg. Darüber hinaus ist es wichtig, dass andere Ursachen der Adipositas ausgeschlossen werden. Erfolgt die Empfehlung und Planung des Eingriffs nach Vorgabe der Leitlinie übernehmen die Krankenkassen in der Regel die Kosten. 

Effekte sind wissenschaftlich überprüft 

Die Wirksamkeit der operativen Eingriffe im Rahmen der Adipositas-Chirurgie für Patienten mit leitliniengerechter Indikationsstellung ist in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten überprüft worden. 2021 veröffentlichte das renommierte Journal The Lancet eine Übersichtsarbeit, die mehr als 1.000 Studien mit insgesamt fast 175.000 Patientinnen und Patienten aus verschiedenen Ländern zusammenfasst. Die Forschenden verglichen operative Ansätze der metabolisch-bariatrischen Chirurgie mit konservativer Therapie und konnten feststellen, dass es durch die Operation zu einer Reduzierung der Sterblichkeit um fast 50 Prozent kommt. Darüber hinaus wirkt sich ein operativer Eingriff positiv auf die Lebenserwartung aus. Die Patienten leben durchschnittlich rund sechs Jahre länger, bei Patienten mit Diabetes sind es sogar neun Jahre. 

Warum kommt es nach der Operation zu einer Verbesserung des Diabetes? 

Eine wichtige mit krankhafter Adipositas einhergehende Erkrankung ist Diabetes mellitus Typ 2 (Zuckerkrankheit). Nach einer metabolisch-bariatrischen Operation kommt es in vielen Fällen zu einer vorübergehenden oder sogar dauerhaften Verbesserung der Diabetes-Symptome. Warum ist das so? 

Eine entscheidende Rolle spielen die sogenannten Inkretine. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Hormonen im Darm, die die Bildung von Insulin – einem körpereigenen Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse gebildet wird – bei der Aufnahme von Nahrung bedarfsabhängig reguliert. Eines dieser Inkretine heißt im Fachjargon Glucagon-like-Peptide 1 (GLP-1) und führt zu zahlreichen positiven Wirkungen, dazu gehören unter anderem eine erhöhte Aufnahme von Glukose (ein natürlich vorkommendes Kohlenhydrat) in der Muskulatur, ein frühes Sättigungsgefühl sowie die Reduzierung entzündlicher Prozesse im Körper.  

Diese Wirkungen sind sehr positiv für Menschen mit krankhafter Adipositas. Durch einen Magenbypass steigt unter anderem der Spiegel des Hormons GLP-1 deutlich an, bei einer reinen Diät ist das hingegen nicht der Fall. So lassen sich die beobachtbaren Erfolge im Zusammenhang mit einer Reduzierung der Diabetessymptome erklären. Auch neue Medikamente nutzen diese physiologischen Zusammenhänge. 

Eine Operation ist keine Standard-Lösung für alle Fälle 

Eine bariatrische Operation ist keine einfache und generelle Lösung für Menschen mit Übergewicht und schwachem Willen. Patienten werden niemals leichtfertig auf den OP-Tisch gelegt. Für Menschen mit chronischer Stoffwechselstörung und krankhafter Adipositas können die etablierten und schonenden (minimal-invasiven) Verfahren jedoch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Wichtig ist darüber hinaus auch die lebenslange Nachsorge durch Ärzte sowie Bewegungs- und Ernährungsexperten. 

Betroffene brauchen Verständnis und Rückhalt 

Menschen mit krankhafter Adipositas sind nicht „selbst schuld“ an ihrer Situation. Adipositas ist eine chronische Erkrankung und keine Wahl. Betroffene brauchen Verständnis sowie Rückhalt durch Familie und Freunde. Unsere Sana-Experten schaffen für die Patientinnen und Patienten eine vertrauensvolle Basis und bieten so Hilfesuchenden eine kompetente und interdisziplinäre Versorgung. 

Anlaufstellen in ganz Deutschland 

Bei Sana finden Patientinnen und Patienten in ganz Deutschland ein vernetztes Angebot an spezialisierten Einrichtungen für Menschen mit krankhafter Adipositas. Viele der Sana-Adipositaszentren sind nach den Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie DGAV zertifiziert.