Anna Vetter, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Traumatherapie, und Ralph Kortewille, Leiter der Traumaambulanz der Regio Kliniken, klären auf, wie komplexe Traumafolgestörungen behandelt werden können und worauf bei traumatisierten Kindern und Jugendlichen besonders geachtet werden muss.
Aufwendige und interdisziplinäre Behandlungsansätze notwendig
„Um psychische Traumatisierungen auch bei einem sehr kleinen Kind richtig einzuschätzen und die richtige Hilfe einleiten zu können, braucht es gut ausgebildete Experten mit Erfahrung. Denn je schneller man eine Traumatisierung richtig erkennt und fachgerechte Behandlung anbieten kann, desto besser sind die Chancen für Heilung“, weiß Ralph Kortewille. Oft sind dann medizinische, psychologisch-psychotherapeutische Behandlungen und Maßnahmen der Jugendhilfe gleichzeitig notwendig. „Diese Behandlungen von Kindern und Jugendlichen mit Traumafolgestörungen sind aufwendig“, ergänzt Anna Vetter. „Sie sollten möglichst unmittelbar und durch speziell ausgebildete Fachleute erfolgen. Je jünger das Kind bei Beginn der Behandlung ist, desto besser sind die Ergebnisse. Und nicht aus jedem Belastungserlebnis muss sich in der Folge das Vollbild einer krankheitswertigen Störung entwickeln.“
Neben dem fachlich fundiertem Zugang sind einfühlsames Verständnis und eine klare, Halt gebende Pädagogik das Wichtigste. Während zur Erziehung eines Kindes nicht nur eine Person, sondern ein Dorf notwendig ist, sind für die fachgerechte Diagnostik, Behandlung und Betreuung von traumatisierten Kindern oft mehrere Dörfer erforderlich. „Aber es lohnt sich, und es gibt keine Alternative dazu, fachgerechte Hilfe anzubieten. Dabei spielt es für den Behandlungsansatz und die Komplexität der Anforderungen keine Rolle, ob wir mit einem Kind sprechen, das jahrelanger Gewalt und Vernachlässigung oder aber Kriegshandlungen und Fluchterlebnissen ausgesetzt war. Wenn man den Betroffenen sagt ‚Du bist nicht verrückt, sondern du hast etwas unglaublich Schreckliches erlebt und überlebt, und das kann nicht spurlos an dir vorüber gegangen sein!‘, dann fühlen sich viele schon entlastet und gut verstanden. In der Folge ist es wichtig zu verstehen, wofür das problematische Verhalten steht, welchen guten Grund es für das Verhalten des Kindes gibt: Was sind seine Ängste und Sorgen?“, erläutert Ralph Kortewille.
Intensive Behandlung durch speziell ausgebildete Fachkräfte
Vor allem durch Halt gebende Beziehungserfahrungen und das Erleben von Selbstwirksamkeit lernen Kinder auf ihre traumaassoziierten Stressmuster zu verzichten, sich selber zu beruhigen und zu regulieren und wieder Vertrauen in die Welt zu finden. „Wir sind froh sagen zu können, dass unsere gesamten Mitarbeiter traumapsychologisch und traumapädagogisch ausgebildet sind und wir Familien und Kindern eine fachgerechte traumasensible Unterstützung anbieten können, die in vielen Fällen auf Medikamente und Zwangsmaßnahmen verzichten kann. Und auch, dass wir traumatisch belasteten Elternteilen helfen können, sich selber und ihre Kinder besser zu verstehen, um nicht die Dinge zu wiederholen, die viele von Ihnen selber entbehren oder ertragen mussten. Deswegen arbeiten wir daran, dass unsere Klinik ein Ort ist, an dem Kinder und Erwachsene, die massive negative Erfahrungen machen mussten, wieder Vertrauen in andere Menschen aufbauen können“, so die Fachärztin.